Landesverband Baden-Württemberg

Positionspapier: Standards zur Pandemiebekämpfung in Kindertagesstätten vereinheitlichen

Hintergrund

Die Bund-Länder-Beratungen Ende November und die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes berücksichtigen neue Erkenntnisse und präzisieren die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – auch solche, die die Teilhabe von Kindern an Bildung und öffentlichem Leben in Baden-Württemberg betreffen. Ein genereller Kita-Shutdown konnte glücklicherweise verhindert werden. Dennoch kommt es weiterhin zu pauschalen Kita-Schließungen in Corona-Hotspots, die in keinem Zusammenhang zum Infektionsgeschehen stehen. Dies lehnen wir weiterhin ab.

Kinder brauchen für ihre Entwicklung andere Kinder, den Tagesrhythmus, die Gemeinschaft in der Kita, die Bezugspersonen und die Bewegungsmöglichkeiten. Wichtige Kindheitserfahrungen fehlen ihnen sonst. Viele der Pandemie-Maßnahmen stehen zudem in einem Spannungsfeld zu den Erwartungen der Kinder nach Nähe und Geborgenheit. Kinder sind schon jetzt die Verlierer der Pandemie und die kommenden Monate werden eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.

Schul- und Kitaschließungen haben erhebliche langfristige negative Folgen für die Fähigkeiten und Potentiale sowie das Wohlergehen der betroffenen Kinder, insbesondere für diejenigen mit Benachteiligungen sozioökonomischer Art. Unser Ziel als Deutscher Kitaverband bleibt es, allen Kindern Freiräume zu schaffen sowie dauerhaft Zugang zu Betreuung, Erziehung und Bildung zu ermöglichen. Das Wohl des Kindes muss bei politischen Entscheidungen immer im Vordergrund stehen – dazu braucht es praktisch umsetzbare und transparent nachzuvollziehende Maßnahmen. Laut der Jahresbefragung des Deutschen Kitaverbands 2020 wünschen sich 57 Prozent der befragten Träger einheitliche Standards mit klaren Aussagen zur Pandemiebekämpfung.

Kitas, Horte und Tagespflege offenhalten und Studienergebnisse in Handlungskonsequenzen umsetzen

Zahlreiche Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind. Sie tragen nach bisherigen Erkenntnissen Corona nicht weiter: Das Ansteckungsrisiko geht von den Erwachsenen aus. Zudem ist der Krankheitsverlauf bei Kindern vorwiegend mild.

Die „Safe-Kids-Studie“ der Goethe-Universität Frankfurt kommt zu dem Schluss, dass das Risiko für die Kinder, sich in der Kita mit dem Coronavirus zu infizieren, relativ gering sei. Unter den untersuchten 800 Kindern konnte kein einziger Corona-Fall nachgewiesen werden – die beiden positiven Proben stammten von Erzieher*innen.

Eine Meta-Analyse vom Institute of Child Health am University College London legt nach Auswertung von 32 weltweiten Studien die Einschätzung nahe, dass Kinder unter 10 Jahren im Vergleich zu Erwachsenen bei gleichen täglichen Kontakten ein geringeres Infektionsrisiko haben. Insgesamt waren fast 42.000 Kinder und Jugendliche sowie fast 269.000 Erwachsene an den ausgewerteten Studien beteiligt.

Die aktuellen Ergebnisse der Corona-KiTa-Studie von Robert-Koch-Institut (RKI) und Deutsches Jugendinstitut (DJI) kommen zu einem ähnlichen Schluss: „In Kalenderwoche 41 (5.10. bis 11.10.2020) meldeten 1,6% der Einrichtungen einen Infektionsfall. (…) Damit spiegeln die Ergebnisse auch die Infektionszahlen in der Bevölkerung wider, nach denen unter 6-Jährige gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung unterproportional von SARS-CoV-2-Infektionen betroffen sind.“

Daher fordert der Deutsche Kitaverband, die Kitas weiter offen zu halten und die präventiven Maßnahmen auch im Kitabereich vor allem auf die Erwachsenen – Erzieher und Eltern – zu konzentrieren, um den Kindern größtmögliche Freiräume zu lassen.

Die aktuelle Studienlage ist zwar sehr vielversprechend, es muss aber möglichst schnell geklärt werden, wie die Infektionswege zwischen Kindern und Erwachsenen verlaufen und daraus die Konsequenzen für die Kitas gezogen werden. Wir fordern die Landesregierung auf, sich für die schnellere Weiterführung der Studien zur Infektiosität von Kindern einzusetzen und auch Zwischenergebnisse zügig in tatsächliche Handlungen umzusetzen.

Einheitliches Vorgehen der Gesundheitsämter

In Baden-Württemberg sind wir von transparenten und nachvollziehbaren Regelungen zu Quarantäne-Maßnahmen und zur Schließung von Einrichtungen weit entfernt. Ein Flickenteppich an Verordnungen verunsichert Kita-Träger und -Leitungen, Erzieher*innen und Eltern in einem unnötigen Maß.

Die Beachtung der AHA+L Regeln ist für alle Mitarbeiter*innen in Kitas selbstverständlich. Darüber hinaus haben die Kitas den Betrieb aufgrund der hohen Infektionszahlen wieder auf Kohorten umgestellt – auch um im Infektionsfall die Schließung der kompletten Einrichtung zu verhindern.

Es gibt jedoch Fälle, in denen nicht nur die betroffene Kohorte geschlossen wird, sondern auch alle anderen Gruppen in Quarantäne geschickt werden, weil die Kinder mehrerer Kohorten gemeinsam im Garten gespielt haben – auch wenn die Erwachsenen gebührenden Abstand gehalten sowie Masken getragen haben oder die Kinder keinen direkten Kontakt hatten und die Bedingungen einer Einordnung als Kontaktgruppe 1 nicht erfüllen.

Wir fordern nachvollziehbare landeseinheitliche Richtlinien für die Gesundheitsämter, in denen transparent definiert ist, wer unter welchen Bedingungen als Kontaktperson angesehen wird, welche Personengruppen in Quarantäne müssen und wie lange die jeweilige Quarantäne erfolgen soll.

Ein enger Kontakt (= Kategorie 1) sollte sein, wer mindestens 15 Minuten mit einer oder einem Infizierten gesprochen hat beziehungsweise angehustet oder angeniest worden ist (face-to-face-Kontakt), während diese oder dieser ansteckend gewesen ist. Der Zeitraum von 15 Minuten ist dabei nicht kumuliert über einen Tag zu betrachten.

Es werden von unseren Mitgliedern Fälle geschildert, bei denen Erzieher*innen als Kontaktperson I eingestuft und eine 14-tägige Quarantäne verhängt wurde, ohne zu berücksichtigen, wie lange und wie nah Kontakt zu einer infizierten Person bestand. Daraus ergibt sich die Situation, dass völlig gesunde Mitarbeiter*innen mit negativem Testergebnis zu Hause bleiben müssen, während der Rest des Kita-Teams am Rande der Belastbarkeit arbeitet.

Es kann nicht sein, dass Einrichtungen geschlossen werden müssen und Erzieher*innen, Kinder sowie Eltern unnötiger Weise vor riesige Herausforderungen gestellt werden, weil das jeweilige Gesundheitsamt sich vor Ort kein Bild machen kann und mit der Verfolgung der Fälle nicht mehr hinterherkommt.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Quarantäne für Kinder eine hohe psychische Belastung darstellt – sie sollte unter allen Umständen vermieden werden, wenn sie nicht aufgrund einer eigenen akuten Infektion notwendig ist. Denn Kinder brauchen für ihre Entwicklung Kontakt mit anderen Kindern. Ihr Recht auf Bildung darf so wenig wie möglich eingeschränkt werden und Familien müssen vor den Folgen weiterer Schließungen geschützt werden.

Hier müssen die aktuellen Erkenntnisse der Studien dringend angewandt werden und die höchstens sehr geringe Ansteckungsgefahr von Kindern auf Andere berücksichtigt werden. Quarantäne-Anordnungen über die Kontaktperson Grad 1 und deren direkte Kohorte hinaus sind daher für den Kitabereich auszuschließen.

Schnelltests um Kitaschließungen zu vermeiden

Zur Test-Strategie des Landes gehört die Testung bei Auftreten eines Falles in Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Schulen und Kitas). Bisher werden im Verdachtsfall bei Erzieher*innen die sogenannten PCR-Tests angewandt. Deren Ergebnisse liegen frühestens nach ein bis zwei Tagen vor – ein Zeitraum, in dem sich die betreffenden Erzieher*innen in vorsorgliche Quarantäne begeben müssten und große Unsicherheit bei Kolleg*innen und Eltern herrscht.

Antigen-Schnelltests ermöglichen ein Ergebnis innerhalb von wenigen Minuten und sind bereits ein wichtiger Bestandteil der Nationalen Teststrategie im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Die Schnelltests liefern innerhalb von rund 15 bis 30 Minuten ein Testergebnis. Das genauere PCR-Testsystem können die Antigen-Tests nicht ersetzen. In Schulen und Kitas sind diese Tests jedoch eine sinnvolle Ergänzung. Die Gesundheitsämter müssen die Ergebnisse der Schnelltests anerkennen.

In Baden-Württemberg können bei Auftreten eines Falles in einer Kindertageseinrichtung „Kontaktpersonen im weiteren Sinn, die dort betreut werden oder dort tätig sind, auf SARS-CoV-2 getestet werden. Hierfür sollen bevorzugt Antigen-Schnelltests zum Einsatz kommen. Die Testung erfolgt freiwillig. Die namentliche Festlegung der Kontaktpersonen, denen eine Testung angeboten wird, erfolgt durch das zuständige Gesundheitsamt und die Schulleitung bzw. die Einrichtungsleitung/-träger.“ Der Deutsche Kitverband begrüßt die Initiative der Baden-Württembergischen Landesregierung.

Wir fordern aber: Hat ein*e Mitarbeitende Symptome, sollte verbindlich zuerst ein Antigen-Schnelltest erfolgen. Fällt dieser positiv aus, müssen mindestens die Kolleg*innen in der direkten Kohorte – oder im besten Fall vorsorglich alle Mitarbeitenden in der Kita – mittels Antigen-Tests getestet werden. So kann schnell festgestellt werden, ob in der Einrichtung weitere Personen infiziert sind und eine unerkannte Ausbreitung verhindert werden.

Pädagogische Arbeit ermöglichen

Aus pädagogischer Sicht kann im Umgang mit Kindern in Kindertagesstätten nicht mit Mund-Nasen-Schutz (MNS) oder FFP2-Maske gearbeitet werden. Kinder müssen Mimik und Gestik der Mitmenschen wahrnehmen können. Für den Spracherwerb ist es entscheidend wichtig, nicht nur die Worte zu hören, sondern auch die sich zu Wörtern formenden Lippen zu sehen. Situationen, in denen Kinder die Gesichter ihrer Bezugspersonen längere Zeit nicht sehen, können zu Irritationen führen und – bei ausreichender Dauer – zu Fehlentwicklungen im empathischen Bereich und dem sozialen Miteinander.

Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz durch Kitakinder steht aus pädagogischer Perspektive völlig außer Frage und ist nach aktueller Studienlage zum Ansteckungsrisiko durch Kinder unter 6 Jahren auch nicht notwendig.

Der Deutsche Kitaverband hat bereits entsprechende Handlungsempfehlungen für den Kita-Betrieb veröffentlicht:

  • Erwachsene halten untereinander den Mindestabstand ein, beachten die Hygienevorschriften und sorgen für regelmäßiges Lüften.
  • Für die pädagogische Arbeit wird den Erziehenden jeweils eine feste Kohorte mit eigenen Gruppenräumen zugeordnet, in denen sie sich überwiegend aufhalten und in denen sie keine Maske tragen. Verlassen sie die Räume, besteht Maskenpflicht.

Es muss klar sein, dass Erzieher*innen während ihrer pädagogischen Arbeit mit Kindern unter 6 Jahren keine MNS-Pflicht haben und Kitakinder ebenfalls keinen MNS verwenden.

Erzieher*innen schützen und wertschätzen

Erzieher*innen halten seit März den Kitabetrieb aufrecht und sichern dadurch nicht nur die Freiräume der Kinder, sondern auch die Erwerbsarbeit der Eltern. Kinder müssen Bildung und Teilhabe erfahren, soziale Kompetenzen weiter festigen und mit anderen Kindern zusammen sein – die Mitarbeiter*innen in den Kitas sorgen mit ihrer engagierten Arbeit dafür, dass dies auch unter Pandemiebedingungen möglich ist. Wir schlagen deshalb vor, die für 2020 beschlossene einmalige Corona-Prämie auch im Jahr 2021 auszuzahlen.

Eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung mit motivierten Fachkräften kann nur mit einer entsprechenden Personalabdeckung funktionieren. Ausfälle der pädagogischen Fachkräfte aufgrund von Krankheit oder Quarantäne-Anordnungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit in der Kita.

Die Erzieher*innen benötigen als systemrelevante Arbeitskräfte im Arbeitsumfeld einer Gemeinschaftseinrichtung mit vielen Außenkontakten einen besonderen Schutz.

Der Deutsche Kitaverband fordert daher, dass Erziehende in Baden-Württemberg als systemrelevant eingestuft und als eine der ersten Gruppen auf freiwilliger Basis geimpft werden.

 

Foto: Photo by Gautam Arora on Unsplash