Die konkreten Folgen der Lockdowns für Kinder und Jugendliche treten in zahlreichen Studien immer deutlicher zutage. Laut der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung sind die Anfragen von Kindern und Jugendlichen nach therapeutischer Betreuung um 60 Prozent gestiegen. Kinder- und Jugendärzte warnen vor Defiziten in der körperlichen Entwicklung, Motorik und gesundheitliche Folgen durch Übergewicht. Die DLRG befürchtet zwei verlorene Jahrgänge in der Schwimmausbildung und eine steigende Zahl an Badeunfällen.

Die psychische, kognitive und körperliche Entwicklung vieler Kinder ist nicht mehr altersgemäß. Durch die Kita- und Schulschließungen hatten Kinder weniger Gelegenheiten Erfahrungen im sozialen Miteinander zu machen und neue Freundschaften zu knüpfen oder bestehende Kontakte zu pflegen. Das natürliche kindliche Bewegungsbedürfnis wurde in den Lockdowns massiv eingeschränkt. Wissenschaftler*innen befürchten bereits Langzeiteffekte für zukünftige Kompetenzen in der Schule, im sozialen Miteinander sowie für die seelische und körperliche Gesundheit.

Begleiten und fördern statt „aufholen“

Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung für Kinder und Jugendliche zwar durchaus bewusst. Das Aktionsprogramm der Bundesregierung „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ soll jedoch aufholen, wo es nichts aufzuholen gibt. Die Lebensmonate im Lockdown und verpassten einmaligen Ereignisse lassen sich für Kinder und Jugendliche nicht auf- oder zurückholen. Anstatt sich auf das Aufholen von Lernleistungen zu konzentrieren, sollten Kinder und Jugendliche vielfältige Möglichkeiten des sozialen Miteinanders erhalten. Sie müssen zuallererst psychisch gestärkt werden, benötigen ausreichend Zeit für Familie, Freunde, Sport und soziale Aktivitäten und brauchen dazu Angebote – über die Sommerferien hinaus.

Das Programm der Bundesregierung fokussiert auf den Bereich Schule sowie ältere Kinder und Jugendliche. Die Bedürfnisse von Kita-Kindern bleiben wieder einmal kaum berücksichtigt. Kitas werden erneut nicht als wichtige Bildungsinstitutionen angesehen. Frühkindliche Bildung ist jedoch der Schlüssel für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Es spricht Bände, dass die Spitze des Bundesfamilienministeriums, wo die Kindertageseinrichtungen inhaltlich angesiedelt sind, nach dem Rücktritt von Ministerin Franziska Giffey nicht wiederbesetzt worden ist.

Der Deutsche Kitaverband begrüßt das Bemühen, durch das Schaffen von 1.000 zusätzlichen Sprach-Kitas den entstandenen sprachlichen Defiziten von Kindern zu begegnen. Hier muss eine schnelle und unbürokratische Umsetzung durch die Träger möglich sein, um qualifizierte Direkteinsteiger*innen wie z.B. Logopäd*innen in die Kitas holen zu können. Nur mit der Weiterqualifizierung von Fachkräften wird der Bedarf in Zeiten des Fachkräftemangels und angesichts der Weiterbildungsdauer nicht zu decken sein.

Die zusätzliche Sozialarbeit an Schulen muss auf die Kitas ausgeweitet werden. Die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas haben angesichts gesetzlich knapp kalkulierter Personalschlüssel und Zeitkontingente keine ausreichenden Möglichkeiten, Kinder mit besonderem Bedarf angemessen zu begleiten. Hier braucht es den Einsatz von qualifizierten Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen, die im Rahmen des Programms auch für Kitas finanziert werden müssen.

Die im Aktionsprogramm vorgesehenen Projekte zur Freizeitgestaltung für Kinder und Familien müssen auch für unter 6-jährige Kinder gelten. Der Zugang zu Sportplätzen und -einrichtungen sowie zu Schwimmbädern muss vorrangig für Kinder gewährt werden.

Freiwillige Impfungen für Kinder

Die EMA hat für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren einen Impfstoff freigegeben. Für kleinere Kinder bis 12 Jahren ist aktuell keine Zulassung eines Impfstoffs vor der EMA beantragt, die Studien der Impfstoffhersteller zur Wirksamkeit bei jüngeren Kindern laufen momentan noch. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission STIKO für das Impfen von Kindern und Jugendlichen steht noch aus.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte fordern die schnelle ordentliche Zulassung von Impfstoffen für Kinder und Jugendliche und eine Impfung nach den Empfehlungen der STIKO

Nach Ansicht der Fachgesellschaften könne der Besuch von Bildungseinrichtungen „auch ohne Impfung bei konsequenter Umsetzung der vorgeschlagenen Hygienemaßnahmen weitgehend gefahrlos erfolgen.“ Es müsse bedacht werden, dass eine allgemeine Impfempfehlung nur mit dem Ziel der Teilhabe an Bildung und gesellschaftlichem Leben nicht dem Eigennutz des geimpften Kindes diene, sondern primär dem Schutz der Erwachsenen vor Infektionsausbreitung und Erkrankung – also aus Sicht des Kindes dem Fremdnutzen. Besonders für die jüngere Altersgruppe sei daher eine Abwägung zwischen Fremd- und Eigennutz unabdingbar. So könne es nach Auffassung der Fachgesellschaften sinnvoller sein, zunächst die Kontaktpersonen der Kinder (Angehörige, Erzieher*innen, etc.) zu impfen.

Der Deutsche Kitaverband schließt sich dem vollumfänglich an und plädiert für eine freiwillige Impfung von Kindern im Rahmen der Empfehlungen der STIKO. Der Impfstatus von Kindern darf kein Ausschlusskriterium für Teilhabe an Bildung, Freizeit oder sozialen Aktivitäten sein. Ein Kitabetrieb unter Pandemiebedingungen ist auch ohne verpflichtende Impfung von Kindern sicher möglich.

Studien voranbringen

Unabhängig von der Frage der Impfempfehlungen liegen immer noch keine eindeutigen Studienergebnisse zur Infektiosität von Kita-Kindern und Verbreitungswegen der Infektion in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung vor. Diese Erkenntnisse sind jedoch dafür entscheidend, dass Konzepte von Kitas, Tagepflegestellen und Horte pandemiegerecht angepasst bzw. gestaltet und die Einrichtungen langfristig offengehalten werden können.

Wir können nicht bis Ende des Jahres auf die Resultate z.B. der bundesweiten Corona-KiTa-Studie von RKI und DJI warten. Wir brauchen belastbare Zwischenergebnisse, um den Kitabetrieb vor Ort entsprechend sicher gestalten zu können. Dazu muss gewährleistet sein, dass in Zukunft Studienergebnisse für weitere Corona-Wellen oder Pandemien kurzfristig erhoben und ausgewertet werden. Es kann nicht sein, dass Kitas geschlossen werden und erst zwei Jahre später beurteilt wird, ob diese Maßnahme sinnvoll war.

Kitas offenhalten

Die Folgen der Kita-Schließungen für Kinder werden immer deutlicher. Kita-Kinder brauchen dringend eine Perspektive zurück zur Normalität. Die Politik muss endlich ihr Versprechen einlösen, Bildungseinrichtungen prioritär zu behandeln.

Der Kitabetrieb kann bereits jetzt durch konsequentes Handeln und Einsatz aller bekannten Maßnahmen sichergestellt und gleichzeitig das Ansteckungsrisiko für die Mitarbeiter*innen und Kinder möglichst geringgehalten werden. Daher müssen frühkindliche Bildungseinrichtungen bundesweit zum Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen zurückkehren können und zukünftig inzidenzunabhängig offengehalten werden.

Dazu schlägt der Deutsche Kitaverband ein dreistufiges Vorgehen vor: ein pragmatisches und kindgerechtes Testkonzept für (nicht geimpfte) Mitarbeiter*innen und Kinder, schnelle Impfung der Kita-Mitarbeiter*innen und Eltern sowie den Einsatz von Luftfiltergeräten in schlecht zu lüftenden Räumen.

Neuer Normalbetrieb in Kitas

Die Corona-Pandemie wird auch mit einem Voranschreiten der Impfquoten nicht verschwinden. Mutationen und regionale Ausbrüche werden den Alltag zukünftig immer wieder prägen. Umso wichtiger ist es für Kitas, Tagespflegestellen und Horte jetzt Konzepte für einen neuen Normalbetrieb zu entwickeln.

Der Deutsche Kitaverband legt dabei den Schwerpunkt auf folgende Bausteine:

  • Grundsätzlichen Infektionsschutz in Kitas (nicht nur bezüglich Corona) etablieren.
  • Bei niedrigen Inzidenzen weiterhin ein freiwilliges Testangebot für Mitarbeiter*innen und Kinder aufrechterhalten, bei hohen Inzidenzen Testpflicht.
  • Für vollständig geimpfte Mitarbeiter*innen (unter Vorlage des Impfausweises beim Arbeitgeber) entfallen Test- und Maskenpflicht.
  • Stetige Weiterentwicklung von Impfangeboten (Auffrischungen/Mutanten) und priorisierte Impfungen für Beschäftige in Kitas.
  • Rückkehr zum pädagogischen Konzept des Trägers/zur Kohorten-übergreifenden Arbeit, wenn Inzidenzen dies rechtfertigen.
  • Um die Folgen der Pandemie aufzufangen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen sind Anpassungen im Personalbereich notwendig:
    • Mehr Leitungszeit und Zusatzfunktionen im pädagogischen Bereich,
    • Einsatz von Spezialist*innen mit finanzieller Förderung durch Länder und Kommunen, da aufgrund des Fachkräftemangels nicht ausreichend Erzieher*innen zur Verfügung stehen,
    • Beibehaltung der Flexibilisierung des Mindestpersonalschlüssels, um ggf. auf eine geänderte Pandemielage reagieren zu können.

 

Forderungen des Deutschen Kitaverbands

Aufholprogramm

  • Schnelle und unbürokratische Umsetzung der neuen Sprach-Kitas, qualifizierte Direkteinsteiger*innen in Kitas
  • Zusätzliche Sozialarbeit auch für Kitas
  • Projekte zur Freizeitgestaltung für Kinder und Familien auch für unter 6-jährige Kinder
  • Zugang zu Sporteinrichtungen und Schwimmbädern vorrangig für Kinder

Pandemie-Bekämpfung

  • Freiwillige Impfung von Kindern im Rahmen der Empfehlungen der STIKO
  • Der Impfstatus von Kindern darf kein Ausschlusskriterium für Teilhabe sein
  • Studienergebnisse zur Infektiosität von Kita-Kindern und Verbreitungswegen in Kitas vorantreiben

Neuer Normalbetrieb

  • Inzidenzunabhängiger Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen
  • Schnelle Entwicklung von Konzepten zum neuen Normalbetrieb

 

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