Gestiegener Kostendruck: Kita-Träger fordern Erhöhung öffentlicher Förderung

Fachkräftemangel weiterhin größte Herausforderung im System

 

Berlin, 27.10.2022. Aus den Ergebnissen der Jahresumfrage des Deutschen Kitaverbands ergibt sich ein deutliches Stimmungsbild: Die Kindertagesstätten spüren einen gestiegenen Kostendruck vor allem bei Energie, Personal und Lebensmitteln. 94 Prozent der befragten Kita-Expert*innen fordern die Erhöhung der öffentlichen Förderung, um den Kosten zu begegnen. Nur 16 Prozent würden die Elternbeiträge erhöhen wollen.

Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands:

„Auf die Träger kommen immens höhere laufende Kosten zu – und das in einem System, das die Finanzierung durch öffentliche Mittel und Elternbeiträge bereits heute nicht kostendeckend regelt. Das gefährdet die Substanz der Kitas weiter. Das sind Summen, die im aktuellen System die Finanzierungslücke erhöhen und eine unzumutbare Belastung darstellen. Wir fordern sofortige liquiditätswirksame Lösungen für die Träger, um ein Kita-Sterben zu verhindern. Kurzfristig brauchen die Kitas eine Notfallzulage, mittelfristig muss die Finanzierung alle Kosten decken und an die Inflation gekoppelt werden. Das Kita-Finanzierungssystem muss grundsätzlich umgestellt werden.”

„Kinder und Eltern müssen sich auf eine stabile Betreuungssituation verlassen können. Wenn die Politik – wie bei Corona – nachlässig und träge agiert und den Liquiditätsbedarf nicht kurzfristig deckt, stehen wir vor der nächsten Katastrophe. Die jüngsten Veröffentlichungen zur Betreuungssituation und zu den Leistungsniveaus von Grundschülern haben gezeigt, welche große Bedeutung die Kita als Bildungseinrichtung hat. Bildung fängt eben bereits in der Kita an“, so Weegmann weiter.

Kitas sind deutlich unterfinanziert

Fast Dreiviertel (74 Prozent) aller Träger empfinden die Finanzierung in ihrem Bundesland als unzureichend. 31 Prozent der Befragten empfinden die Finanzierung in ihrem Bundesland als eher nicht ausreichend, 28 Prozent als nicht ausreichend und 15 Prozent sogar als überhaupt nicht ausreichend.

Die finanziellen Eigenanteile, die freie Kita-Träger aufbringen müssen, halten 68 Prozent der Teilnehmer*innen für überhaupt nicht gerechtfertigt oder für nicht gerechtfertigt. Das entspricht einer Zunahme um 10 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.

In Nordrhein-Westfalen liegt dieser Wert mit 79 Prozent wenig überraschend um weitere 10 Prozentpunkte höher als im Bundesdurchschnitt, da die Eigenanteile hier im Kinderbildungsgesetz (§36) explizit genannt werden, keine Möglichkeit der Deckung über Elternbeiträge besteht und sie vergleichsweise hoch sind.

Waltraud Weegmann: „Die strukturelle Unterfinanzierung vieler Kita-Träger wird immer deutlicher: In den meisten Bundesländern werden Kitas über das Zuwendungsrecht finanziert – sie erhalten Gelder über den Landes- bzw. Kommunalhaushalt. Ein Anspruch auf die volle Finanzierung ihrer Leistungen besteht dabei laut Auffassung vieler Kommunen nicht, die Zuwendungen können nach Ermessen der Kommune gekürzt werden. Freie Kita-Träger übernehmen auf Grundlage des SGB VIII aber eine staatliche Pflichtaufgabe und sichern den individuellen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Der Deutsche Kitaverband fordert daher die Erstattung der gesamten Kosten als Entgeltfinanzierung und sieht Bund und Länder in der Pflicht, die Finanzierung frühkindlicher Bildung und Entwicklungsförderung gemeinsam zu schultern.“

Top-Herausforderungen

Als größte Herausforderung im System der Frühen Bildung haben die Kita-Expert*innen wie im letzten Jahr eindeutig den Fachkräftemangel identifiziert (85 Prozent). Den geringen Stellenwert frühkindlicher Bildung konstatierten 41 Prozent der Befragten als Problem – deutlich mehr als im Vorjahr (34 Prozent).

Die Corona-Krise nannten nur noch 17 Prozent als große Herausforderung. (2021: 42 Prozent). Bemerkenswerterweise sehen ihre Einrichtungen für eine neue Coronawelle im Herbst 30 Prozent der Teilnehmer*innen gerüstet, 32 Prozent gut gerüstet und 14 Prozent sehr gut gerüstet.

Konsequenzen des Personalmangels

Der Fachkräftemangel ist für die meisten Kita-Täger deutlich spürbar: Bei denjenigen, die Angaben machten, sind im Schnitt 10 Prozent der Stellen unbesetzt.

Nur ein Fünftel der Befragten muss aktuell kein pädagogisches Personal suchen. Für die überwiegende Mehrheit sind unbesetzte Stellen hingegen Alltag. Ein Zehntel der Teilnehmer*innen kämpft sogar mit 30 Prozent und mehr offenen Stellen.

Das führt zu Konsequenzen: 69 Prozent der Teilnehmer*innen haben schon die Öffnungszeiten reduzieren müssen, 58 Prozent haben Aktivitäten mit den Kindern eingeschränkt (z.B. Ausflüge). Es sind also Einschränkungen, die direkt die Kinder oder Eltern treffen. Besorgniserregend: Vier Prozent (bzw. 20 Teilnehmer*innen, 10 davon aus NRW) waren aufgrund des Fachkräftemangels schon gezwungen, ganze Einrichtungen zu schließen.

In einer besseren Bezahlung der Fachkräfte sehen 67 Prozent eine wirksame Bekämpfung des Fachkräftemangels. 47 Prozent halten dafür die Aufwertung des Berufsimages für geeignet.

Die Vorsitzende Waltraud Weegmann: „Der Deutsche Kitaverband fordert ein Umdenken in der Diskussion zum Fachkräftemangel in Kitas und neue Wege bei der Ausbildung zum Erzieherberuf. Mit gesteigerten Ausbildungskapazitäten allein kann diesem Fachkräftebedarf nicht begegnet werden – zumal jetzt die Kräfte fehlen und die Pädagog*innen drei bis fünf Jahre brauchen, bevor sie die Ausbildung abgeschlossen haben. Neue und innovative Wege sind nötig. Wir fordern daher mehr Flexibilität und Verantwortung bei der Stellenbesetzung für die Kita-Träger, modulare berufsbegleitende Qualifizierung sowie vielfältiger aufgestellte Kita-Teams. Die tarifliche Eingruppierung muss entsprechend den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus diversifiziert sein. Einheitliche Qualitätsstandards und die Überprüfung ihrer Umsetzung helfen dabei, die Qualität der frühkindlichen Bildung in den Kitas zu halten und zu verbessern.“

Qualitätsentwicklung weniger im Fokus

Auch bei den Maßnahmen zur Qualitätserhöhung halten die Befragten in erster Linie eine Besserung der Personalsituation für entscheidend. 73 Prozent sehen in der Verbesserung des Fachkräfteschlüssels das wichtigste Mittel für Qualitätsentwicklung, gefolgt von 50 Prozent, die sich mehr qualifizierte Fachkräfte wünschen.

Weegmann: „Wenn der Kita-Bereich ernst genommen werden will und wenn wir richtigerweise den Anspruch vertreten wollen, dass Kitas Bildungseinrichtungen sind, müssen wir stärker darauf fokussieren, was tatsächlich bei den Kindern ankommt. Dafür benötigen wir Qualitätsstandards, die auch überprüft werden.“

Aus für Sprach-Kitas in der Kritik

Knapp die Hälfte der Befragten nimmt am Bundesprogramm Sprach-Kitas teil. Die große Mehrheit aller Umfrage-Teilnehmer*innen sieht den angekündigten Förderstopp kritisch: 78 Prozent beurteilen ihn als sehr schlecht, 12 Prozent als schlecht.

Allerdings sehen in der Weiterqualifizierung des gesamten Kita-Teams die meisten Befragten (55 Prozent) die geeignetste Maßnahme zur Stärkung der sprachlichen Bildung, noch vor dem Einsatz von zusätzlichen Sprach-Fachkräften (38 Prozent).

Stellenwert der frühkindlichen Bildung in der Gesellschaft gesunken?

Auffällig ist die Einschätzung der Kita-Expert*innen beim Stellenwert der frühkindlichen Bildung in der Öffentlichkeit. 50 Prozent halten ihn für gering oder sehr gering. Im Jahr 2021 gingen nur 35 Prozent von einem so geringen Stellenwert aus.

Eine mögliche Erklärung ist die Enttäuschung über die ausgebliebenen positiven Reformen im Kita-Bereich. Während der Corona-Pandemie gab es – auch wegen der Schließungen und deren Folgen für die Gesellschaft – ein gesteigertes öffentliches Interesse an Kindertagesstätten. Dies scheint nun wieder abgeflaut. Mit dem Aufkommen neuer Krisen hat sich auch die Politik schnell wieder anderen Themen zugewandt.

Schlechtes Zeugnis für die Ampelkoalition

Nach rund einem Jahr erhalten die bundespolitischen Vorhaben der Regierung im Bereich frühkindliche Bildung (Kita-Ausbau, Sprachförderung (siehe oben), Fachkräfte, Kinderrechte, Grundsicherung/Unterstützung armer Familien etc.) von den Umfrageteilnehmer*innen eine Durchschnittsnote von 4,2. 36 Prozent der Befragten vergaben nur die Note 5, 13 Prozent sogar eine glatte 6.

Die Umfrage

Die jährlich durchführte Online-Befragung des Deutschen Kitaverbandes fand vom 20. September bis zum 11. Oktober 2022 statt. Insgesamt 465 Personen nahmen teil, die sich als Leiter*in/Erzieher*in einer Kita, als Zuständige*r für die Steuerung von Kitas bei einem Träger, als Geschäftsführer*in einer oder mehrerer Einrichtungen oder als Expert*innen aus Fachverbänden für eine Teilnahme qualifizierten. Die Teilnehmer*innen kommen aus allen 16 Bundesländern, wobei Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen am stärksten vertreten sind. Es sind alle Trägerformen (öffentlich, kirchlich, weitere freie Träger) und Trägergrößen in der Stichprobe vertreten: kleine Träger mit ein oder zwei Einrichtungen ebenso wie große mit 100 oder sogar mehr Einrichtungen. Die Umfrageergebnisse spiegeln so die Situation in rund 7.400 Einrichtungen wider.

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