„Bindung? Beziehung? Eingewöhnung und unser Bild von der Kita“: Das war das Thema des ersten Fach-Forums 2021, das der Deutsche Kitaverband, Landesverband Nordrhein-Westfalen, am 19. Oktober 2021 in Düsseldorf veranstaltete. Bis zum Ende des Jahres laufen in vielen Kitas noch die Eingewöhnungen der neuen Kinder – ein guter Zeitpunkt insbesondere über das in den Kitas häufig angewandte „Berliner Modell“ und seine Grundannahmen nachzudenken.

Die Referentin des Fach-Forums 2021, Professorin Dr. Heidi Keller (rechts im Bild), tat das als ausgewiesene Kritikerin der Bindungstheorie. Die renommierte Wissenschaftlerin kritisiert, dass hierzulande übliche Eingewöhnungs-Ansätze in den Kitas unhinterfragt das Bindungsmodell Mutter-Kind übernehmen und die Mutter-Rolle auf eine (Bezugs-)Erzieherin übertragen.

Europäische Mittelschichtsfamilie als Vorbild

Die Rolle der Kinder in der Kitagruppe gerät bei dieser Art von Eingewöhnung ebenso aus dem Blick wie das Beziehungsgeflecht von Familie und Verwandtschaft, in dem sich die einzugewöhnenden Kinder außerhalb der Kita bewegen. Heidi Keller machte anhand von Bildern und Videos aus anderen Kulturen zudem deutlich, dass die Bindungstheorie von den Verhältnissen in der europäischen Mittelschichtsfamilie ausgeht: In anderen Kulturen haben Kinder vielfältige soziale Beziehungen und Mütter spielen jeweils sehr unterschiedliche Rollen.

Kulturelle Vielfalt bleibt unberücksichtigt

Der Prozess der derzeit üblichen Eingewöhnung in den Kitas wird weder ganz unterschiedlichen kindlichen Bedürfnissen gerecht noch berücksichtigt er angemessen die kulturelle Vielfalt, die die Kinder in die Kitas hierzulande mitbringen. Was deutlich wurde: Die Kritik an der Bindungstheorie erschöpft sich nicht in der Kritik an einem fachlichen Arbeitsansatz. Vielmehr eröffnet sie neue Perspektiven auf die Kita-Arbeit.

Diskussion: Kitas als bedeutsamer sozialer Ort für Kinder

So ergab sich unter der Moderation von Sarah Raupach (pme Familienservice NRW) denn auch ein reger fachlicher Austausch. Die Diskussion zeigte: Die Chance des „Kita-Lernens“ für Kinder liegt nicht darin, dass Kitas auf der Grundlage der umstrittenen Bindungstheorie Mutter- und Familien-Verhältnisse „imitierten“ und Kitas sind auch nicht einfach als „Vorschulen“ Schulen light. Der eigentliche Stellenwert der Kita in der heutigen Gesellschaft liegt in ihrem sozialen Gruppen-Angebot für Kinder: Die Kita bekommt ihre Bedeutung mit einem eigenständigen Angebot als bedeutsamer sozialer Ort in einer für die Kinder prägenden Entwicklungsphase.

Die Teilnehmer*innen betonten, dass das Fach-Forum 2021 eine der ersten Gelegenheiten war, im Landesverband wieder persönlich miteinander diskutieren zu können. Dem stand auch der einzuhaltende Corona-Abstand und eine damit verbundene „Hallen-Atmosphäre“ des Tagungsraums nicht entgegen. Was NRW-Landesvorsitzender Klaus Bremen (links im Bild) mitnahm, war der Wunsch der Teilnehmer*innen, diesen fachlichen Austausch fortzusetzen.

Literatur: Heidi Keller: Mythos Bindungstheorie. Konzept-Methode-Bilanz, Weimar 2019 (Verlag das netz)