Berlin, 06.11.2023. Kita-Expert:innen: Finanzielle Lage der Kita-Träger hat sich weiter verschlechtert
Fachkräftemangel: Mehr als zwei Drittel der Träger haben unbesetzte Stellen, 18 % haben einen drastischen Personalmangel

1.   Was sind die Top-Herausforderungen im Bereich der Kindertagesstätten?

Keine Veränderung in der Reihenfolge der Top 3: Als größte Herausforderung im System der Frühen Bildung in Deutschland haben die befragten Kita-Expert:innen wie im letzten Jahr mit 78 % eindeutig den Fachkräftemangel identifiziert (2022: 85 %). Die Unterfinanzierung der Kitas wurde von deutlich mehr Befragten (60 %) als große Herausforderung angesehen als im Vorjahr (48 %). In NRW sind es sogar 78 %. Den geringen Stellenwert frühkindlicher Bildung konstatierten 43 Prozent der Befragten als Problem (2022: 41 Prozent).

Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands, kommentiert die Ergebnisse: „Knappe Budgets, ein leerer Arbeitsmarkt sowie eine unbefriedigte Nachfrage nach Plätzen und Öffnungszeiten: Wir verwalten den Mangel. Im Kita-System fehlt es an Ressourcen, wie die Einschätzung der Kolleginnen und Kollegen eindrucksvoll zeigt. Der Deutsche Kitaverband sieht die aktuelle wirtschaftliche Situation der Träger zunehmend mit Sorge. Seit letztem Jahr hat sich erstaunlich wenig Positives getan. Kita-Träger geraten aufgrund der gestiegenen Sach- und Personalkosten zunehmend in eine finanzielle Schieflage, die den ohnehin knappen Finanzspielraum vollends aufbraucht und die Kitas in ernsthafte Schwierigkeiten bringt.“

2.  Finanzen: Umgang mit gestiegenen Kosten ungeklärt

Die Einschätzung der Finanzlage hat sich unter der befragten Zielgruppe gegenüber dem schwierigen Jahr 2022 nochmal deutlich verschlechtert: Mehr als die Hälfte empfindet die Kita-Finanzierung in ihrem Bundesland als (überhaupt) nicht ausreichend. 23 % der Teilnehmer:innen stufen ihre finanzielle Lage als (sehr) schlecht ein. 2022 trafen nur 16 % ein derart schlechtes Eigenurteil.

In Nordrhein-Westfalen sind die Werte noch negativer: 74% der dortigen Teilnehmer:innen sind der Meinung, dass die Kita-Finanzierung in ihrem Bundesland (überhaupt) nicht ausreichend sei. 38 % stufen ihre finanzielle Lage als (sehr) schlecht ein.

Explizit danach gefragt, wie sie mit den durch die Inflation und die Tarifabschlüsse gestiegenen Kosten umgingen, antworteten 34 % der Befragten, sie wüssten noch nicht, wie sie die Mehrkosten finanzieren sollen. Zwei Drittel haben Maßnahmen ergriffen, um auf die Mehrkosten zu reagieren. Darunter gaben lediglich 26 % an, die öffentliche Förderung sei erhöht worden. Die Kosten wurden deshalb vor allem an die Eltern weitergegeben: 42 % haben die Essensbeiträge erhöht, 30 % haben die Elternbeiträge erhöht. Einige haben sogar Spenden gesammelt.

Waltraud Weegmann: „Insgesamt führt die mangelnde Kompensation der Mehrkosten durch die öffentliche Förderung zu unterschiedlichen Elternbeiträgen. Das ist unfair. Wo die Elternbeiträge nicht frei gestaltbar sind, führt es zu einer Unterfinanzierung der Kitas. Wo die Träger die Beiträge erhöhen können, kann es zu einer sozialen Segregation kommen, wenn sich Familien die Beiträge nicht mehr leisten können.“

Auch was den schleppenden Ausbau von neuen Kita-Plätzen betrifft, führten die Teilnehmer:innen finanzielle Aspekt ins Feld. Die unterschiedliche und nicht auskömmliche (Re-)Finanzierung (56 %) sowie die fehlende finanzielle Planungssicherheit (46 %) sind die häufigsten Antworten bei den Ausbau-Hemmnissen.

3.  Fachkräftemangel geht zu Lasten des Angebots

Insgesamt 71 % der teilnehmenden Kita-Träger geben an, unbesetzte Stellen zu haben. Im Durschnitt sind 11 % der Stellen unbesetzt. 11 % der Träger können nach eigenen Angaben 20-29 % der Stellen nicht besetzen, 7 % können sogar 30 % oder mehr ihrer Stellen nicht besetzen. Die Veränderung in der Anzahl unbesetzter Stellen sieht ein Viertel der Befragten als (deutlich) höher als im Vorjahr an, gut die Hälfte sieht sie als ähnlich an.

Der Fachkräftemangel bei Erzieher:innen wirkt sich konkret auf die Familien aus: 35 % der teilnehmenden Träger können aufgrund des Personalmangels Kita-Plätze nicht besetzen. Auch die Maßnahmen, die die Träger aufgrund des Personalmangels ergreifen, gehen häufig zu Lasten des Angebots. 68 % der Teilnehmer:innen haben Einschränkungen der Aktivitäten mit den Kindern (z.B. weniger Ausflüge) vorgenommen. Genauso viele haben die Öffnungszeiten reduziert. Auch das Personal ist betroffen: 43 % haben Stundenerhöhungen vorgenommen, 42 % haben Fort- und Weiterbildungen eingeschränkt.

Immerhin 23 % der Untersuchten mussten schon Gruppen schließen und 5 % sogar ganze Einrichtungen. Das entspricht 15 Einrichtungen aus diesem Sample. Nur 11 % mussten bisher keine Maßnahmen ergreifen.

Weegmann: „Wenn wir die immensen Steigerungen der Einrichtungs- und Beschäftigungszahlen der letzten zehn Jahre betrachten, ist der Kita-Ausbau ein Erfolgsmodell. Jetzt – in Zeiten des Fachkräftemangels – kommt es darauf an, flexibel jede Idee und Variante zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Dazu gehören bezahlte Ausbildungswege, attraktive Arbeitsbedingungen und das Werben um Personal aus dem Ausland.“

Die generelle Verkürzung der Öffnungszeiten, wie sie in einigen Kommunen schon praktiziert wird, halten im Sinne, dass jedes Kind versorgt ist, nur 15 % der Teilnehmerinnen für richtig. 23 % halten die generelle Verkürzung für falsch im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 62 % halten sie für unausgewogen, da beide Ziele gleichwichtig sind und mehr Anstrengungen zu deren Erreichung unternommen werden müssen.

„Das halte ich für ein wichtiges Signal seitens der Kita-Träger. Wir dürfen die Errungenschaften bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht aufgeben. Trotz Fachkräftemangels müssen wir als Träger von Kindertagesstätten unseren Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit sowie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten, damit alle Kinder ihr Recht auf bestmögliche Bildung und eine glückliche Kindheit erleben. Kitas sind der Bottleneck für die gesamte Gesellschaft. Eltern, die ihre Kinder wegen geschlossener Einrichtungen selbst betreuen müssen, stehen dem Arbeitsmarkt schlichtweg nicht zur Verfügung. Wirtschaft und Gesellschaft können sich geschlossene Kitas einfach nicht leisten“, erklärt Weegmann.

4.  Fortbildungen als Mittel der Qualitätssicherung

Die geeignetsten Gegenmaßnahmen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sehen die Befragten beim bestehenden Personal: Eine bessere Bezahlung der Fachkräfte (45 %), die Aufwertung des Berufsimages (39 %), mehr Erzieher:innen ausbilden (36 %) und eine stärkere Mitarbeiterbindung durch bessere Arbeitsbedingungen (36 %) werden hier genannt.

Auch bei den Maßnahmen zur Qualitätssicherung sehen die Kita-Expert:innen die Mitarbeiter:innen im Mittelpunkt. Die wichtigsten Stellschrauben für eine positive Qualitätsentwicklung werden in der Verbesserung des Fachkräfteschlüssels (67 %), in mehr qualifizierten Fachkräften (43 %), in der Stärkung der Leitung (42%) sowie in Fort- und Weiterbildung (38 %) gesehen.

Die von der öffentlichen Hand bereitgestellten Mittel für Fort- und Weiterbildung wiederum hält mehr als die Hälfte für (überhaupt) nicht ausreichend (in NRW 63 %) und nur 11 % halten sie für (völlig) ausreichend (NRW: 6 %).

Weegmann: „Hier muss ein Umdenken bei den Kita-Betreibern stattfinden: Es wird zu sehr auf strukturelle Aspekte wie den Personalschlüssel fokussiert und mit Qualität gleichgesetzt. Im Zentrum der Betrachtung müsste vielmehr liegen, wie die Ergebnisse sind, also was tatsächlich bei den Kindern ankommt.
Fortbildungen sind ein wichtiges Mittel der Qualitätssicherung. Die meisten Kommunen setzen erfahrungsgemäß maximal 300 Euro pro Mitarbeiter:in im Jahr für Fortbildung an. Die aktuellen Pauschalen für die Fortbildungen in NRW sind sogar noch geringer: ca. 150 € pro Gruppe. Adäquat wären unseres Erachtens nach 2,8 Prozent vom Arbeitgeber-Brutto, also 1.500 Euro pro Jahr und Mitarbeiter:in.“

Grafik, die die Ergebnisse der DKV-Jahresumfrage zusammenfasst.

Die Umfrage:
Der Deutsche Kitaverband hat in seiner diesjährigen Online-Umfrage die Einschätzung von insgesamt 321 Träger-Vertreter:innen zu ihrer aktuellen Situation und Herausforderungen abgefragt. Die Teilnehmenden kommen aus der Kitaleitung, dem Bereich der Kitasteuerung oder der Geschäftsführung/Vorstand. Alle Trägerformen (öffentlich, frei (kirchlich, privatwirtschaftlich, gemeinnützig)) und alle 16 Bundesländer sind in der Stichprobe vertreten, ebenso verschiedene Trägergrößen (von Trägern mit ein oder zwei Einrichtungen bis zu Trägern mit 100 oder mehr Einrichtungen). Die Umfrage fand vom 18. September bis zum 8. Oktober 2023 statt.