VORSCHLAG FÜR DIE WAHLPROGRAMME DER PARTEIEN IM BEREICH FRÜHKINDLICHE BILDUNG
12.08.2020

1. STELLENWERT FRÜHKINDLICHER BILDUNG BESSER ABBILDEN

Die gesellschaftliche Bedeutung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Mit dem Orientierungsplan und den Kitas als Bildungsorten hat die Landesregierung eine zunehmend anspruchsvollere Aufgabe in der Steuerung und Weiterentwicklung der Professionalität des Bereiches. Es ist wichtig diese gestiegenen Anforderungen auf Seiten der Landespolitik besser abzubilden. Im Kultusministerium muss eine eigene Abteilung frühkindliche Bildung eingerichtet werden. Diese muss auch mit einer ausreichenden Zahl an erfahrenen Experten und Praktikern aus dem elementarpädagogischen Bereich besetzt werden. Die Form des Austauschs mit den Trägergruppen und weiteren Stakeholdern im Kita-Bereich muss neu aufgesetzt und die wachsende Trägervielfalt abgebildet werden. Der Austausch muss intensiviert werden, um den nötigen Veränderungsprozessen im Kita-System gerecht werden zu können.

2. KITA-FINANZIERUNG VERBESSERN

Aufgrund der Kommunalisierung der Kitas hat jede Kommune ihr eigenes Fördersystem für die Kinderbetreuung entwickelt oder vereinbart mit freien Trägern individuelle Modelle. Für die Träger bedeutet das, bei sich verändernden Kosten und zusätzlichen Leistungen, Zuschüsse immer wieder neu verhandeln zu müssen. Dabei erwarten Kommunen häufig, dass freie Träger einen Eigenanteil aufbringen. Die Verhandlungen bergen deshalb ein hohes Konfliktpotenzial. Um diese Streitigkeiten nicht juristisch austragen zu müssen, benötigen die Träger eine Schiedsstelle wie bei anderen Jugendhilfeleistungen nach SGB VIII üblich. Die Erfahrung aus anderen Bereichen der Jugendhilfe zeigt, dass durch die fachkundige Schiedsstelle acht von zehn Fällen außerjuristisch und zur Zufriedenheit der Betroffenen geregelt werden können. Es muss deshalb eine Schiedsstelle für die Kitafinanzierung eingerichtet werden.

Die Kosten in der Kinderbetreuung steigen stetig, sodass für Träger und Kommunen bei gleichbleibender Landesförderung eine immer größere Deckungslücke entsteht. Auch der Aufwand in den Bereichen Organisation/Verwaltung ist stark gestiegen. Aufgrund der Personalengpässe sind deutliche höhere Kosten für Personalakquisition und -fortbildungen entstanden, dazu kommen die erfreulicherweise gestiegenen Erwartungen an Qualität und Steuerung. Die Landesförderung muss deshalb jährlich angepasst werden.

Aufgrund des Rechtes auf einen Krippen- und Kindergartenplatz hat sich das Angebot von einer freiwilligen Leistung zu einem Anspruch der Eltern entwickelt. Dieser Anspruch an den Staat wird häufig von sozialunternehmerischen Trägern erfüllt. Dennoch folgt die Finanzierung nach wie vor der Idee eines Zuschusses und nicht eines Leistungsentgeltes. Das führt häufig zu der Erwartung einer Träger-Eigenleistung. Dies stößt zunehmend auf Unverständnis bei allen freien Trägern. Die Finanzierung muss deshalb subjektorientiert und auskömmlich sein sowie Spielräume für individuelle Angebote lassen.

Kindertagesstätten sind Bildungsstätten. Zur Sicherung der frühkindlichen Bildung ist daher eine verlässliche Finanzierung durch das Land und die Kommunen eine Grundvoraussetzung. Was ein Kitaplatz kostet, lässt sich recht verlässlich ermitteln. Die durchschnittlich errechneten Personal- und Sachkosten (einschließlich eines Anteils für Investitionen) ergeben die Basis. Diese ermittelten Kosten pro Platz sind Grundlage der Zuwendungen des Landes und der Kommunen. Die berechneten Pauschalen für Personal- und Sachkosten sind entsprechend der Tarif- und Preisentwicklung regelmäßig anzupassen und bilden das Standardangebot ab. Höhere Standards und darüberhinausgehende spezifische Angebote können durch Elternbeiträge abgedeckt werden.

3. KITA-PLATZAUSBAU VORANBRINGEN

Zwar wurden in Baden-Württemberg zwischen 2008 und 2018 1.082 (+13,8 Prozent) neue Kindertageseinrichtungen geschaffen (56 Prozent von freien Trägern). Im Jahr 2017 gaben aber immer noch 14 Prozent der Eltern in Baden-Württemberg an, dass sie für ihr unter dreijähriges Kind keinen Betreuungsplatz bekommen haben.

Das Land muss – auch aufgrund der gestiegenen Einwohnerzahlen – weiterhin großes Gewicht auf den Ausbau des Betreuungsangebotes legen. Es muss die freien Träger beim Aufbau neuer Einrichtungen unterstützen, damit eine Angebotsvielfalt sichergestellt werden kann, die den unterschiedlichen Bedarfen der Familien entspricht. Die Landesregierung sollte hierfür ein eigenes Investitionsprogramm für die Träger auflegen. Ebenso sollte sie beim Bund darauf drängen, dass dessen Investitionsmittel für den Kitaausbau über das Jahr 2021 hinaus verstetigt werden.

Erheblichen Bedarf gibt es auch bei der Ausweitung der Betreuungszeiten. 67 Prozent aller Einrichtungen in Westdeutschland schließen vor 17.00 Uhr (2018). In Baden-Württemberg können gerade einmal 27 Prozent der Kinder im Alter von drei Jahren bis Schuleintritt eine Einrichtung mehr als 35 Stunden die Woche besuchen. Die Bezuschussung sollte sich an bedarfsorientierten und längeren Öffnungszeiten bis max. 55 Stunden orientieren. Diese sollten vom Land und den Kommunen entsprechend finanziell gefördert werden.

4. QUALITÄTSSICHERUNG UND -ENTWICKLUNG DURCH OUTPUT-ORIENTIERUNG

Wie wissenschaftliche Studien (NUBBEK, jährlicher Ländermonitor der Bertelsmann- Stiftung) zeigen, gibt es nach wie vor deutliche Unterschiede innerhalb der Kita-Landschaft auch in Baden-Württemberg. Ein Aspekt, der bislang weitgehend außer Acht gelassen wird: Die Träger selbst sind für die Steuerung der Qualitätssicherung und -entwicklung von Kitas verantwortlich.

Durch Transparenz, Beratung und Bewertung können Kitas bei ihrem Qualitätsmanagement gefordert und gefördert werden. Dies muss durch wissenschaftlich fundierte und standardisierte Instrumente erfolgen. Durch Elternbefragungen und externe Evaluationen müssen Kitas bei ihrer Qualitätsentwicklung unterstützt werden. Sowohl Umsetzung als auch Auswertung der Evaluationen können heute digital stattfinden.

Qualitativ hochwertige Kinderbetreuung ist für jedes Kind wichtig. Alle unsere Kinder haben ein Recht darauf, die bestmögliche Qualität zu erleben. Dafür müssen die Kitas ihre Arbeit analysieren und einen Qualitätsentwicklungsprozess starten. Ein wichtiges Instrument hierbei sind externe Zertifizierungen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Zertifizierungen nicht um ihrer selbst willen geschehen, sondern den Zweck erfüllen, die Kita- und Trägerqualität prozesshaft zu verbessern. Die Richtlinien für die Zertifizierungen sollten sich an den Orientierungsplänen, am nationalen Kriterienkatalog sowie an neuen (erziehungs-)wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren.

Zertifizierungen dienen als Management- bzw. Steuerungs-Instrument. Sie helfen den Trägern Qualitätsstandards zu ermitteln, vergleichen zu können und damit Handlungsbedarfe zu erkennen und zu unterstützen. Zertifizierungen sind zudem ein wichtiges Mittel, um die Transparenz für alle Beteiligten zu erhöhen.

In Baden-Württemberg finanzieren Land, Kommunen und Eltern ihre Kitas mit rund acht Milliarden Euro im Jahr. Das Land ist deswegen verpflichtet, sicherzustellen, dass dies zu hoher Qualität in Kitas führt. Nur in qualitativ guten Kitas werden Kinder in ihrem Bildungsprozess bestmöglich gefördert. Die Förderung in Kitas ist insbesondere für die Kinder wichtig, die aus einem bildungsfernen Umfeld stammen. Zertifizierungen ermöglichen den Trägern ihrer Qualitäts-Verantwortung gerecht zu werden. Mitarbeiter*innen geben sie die Chance, die Weiterentwicklung der Kitaqualität systematisch voranzutreiben. Der öffentlichen Hand zeigen sie den Erfolg ihrer Investitionen im frühkindlichen Bildungsbereich und mögliche Verbesserungspotentiale auf. Mit der Erhöhung der Transparenz soll für alle, die an der Steuerung und Umsetzung der Kitaqualität beteiligt sind, die ständige Verbesserung selbstverständlich werden. Auditierungen dienen dazu, Unterstützung zielgerecht bereitzustellen und Weiterentwicklung zu fördern.

Das Land Baden-Württemberg sollte einen besonders hohen Wert auf die Output-Qualität legen. Was am Ende bei den Kindern ankommt ist entscheidend. Das Gute-Kita-Gesetz hat das Thema Qualität bundesweit positioniert. Nun stellt sich die Frage, wie die Politik Träger und Einrichtungen in ihrem Qualitätsstreben künftig noch stärker und effizienter unterstützen kann. Das Land sollte sich gegenüber dem Bund daher für die Wieder-Aufnahme des Prozesses für ein echtes Qualitätsgesetz mit einer Orientierung an der Ergebnis-Qualität stark machen. Baden-Württemberg muss Externe Evaluation als für alle Kitas verpflichtend in das Kita-Gesetz aufnehmen. Die systematische und fachlich begründete Überprüfung und Einschätzung der erreichten Qualität der Kita-Arbeit sollte in einem modernen Bildungssystem selbstverständlich sein.

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