Nachdenkenswertes zur Hauptstadtzulage
von Wolfgang Freier, BOOT Kitas

Mitte der neunziger Jahre wurden in Berlin Kindertagesstätten aus der bezirklichen Hoheit zu 60 Prozent an freie Träger übergeben und zu 40 Prozent in Eigenbetriebe des Landes überführt. Damals betonte man noch, dass beide Trägerformen gleich finanziert würden. Von den tatsächlichen Kosten für Löhne des pädagogischen Personals und den zugrunde gelegten Sachkosten erhielten alle Träger lediglich einen reduzierten Anteil (anfänglich 93 Prozent, seit 2019 94 Prozent). Im Zeitraum von 1998 bis 2011, also 13 Jahre lang, gab es keinerlei Lohnsteigerungen. Berlin war zwar sexy, doch auch arm. Und Kita war ein Bereich, in dem man leicht Geld sparen konnte.

Folgen der Finanzierungslücke

Der Zustand der Kita-Gebäude und Freiflächen war erbarmungswürdig. Mittel für Sanierung und Instandhaltung wurden tröpfchenweise bereitgestellt. Dennoch wurden viele Einrichtungen, die in freier Trägerschaft geführt wurden, dank der Initiative der freien Träger saniert und Freiflächen attraktiver gestaltet. Wenn tarifliche Anpassungen den Bediensteten des Landes Berlin zuflossen, so gingen diese nur reduziert an die Träger – eben zu 93 Prozent. Somit wuchs von Tarifsteigerung zu Tarifsteigerung der Abstand in den Gehältern zwischen MitarbeiterInnen bei den Trägern und dem öffentlichen Dienst um sieben Prozent. Da die Sachkosten ebenfalls nicht auskömmlich sind, hatten die Träger die freie Wahl, entweder noch einen Euro bei den Lohnkosten einzusparen und in die notwendige Sanierung zu investieren oder die Häuser und Gärten auf Verschleiß zu fahren, auf Sanierungsmittel zu hoffen und die Lohndifferenz der MitarbeiterInnen im Verhältnis zum öffentlichen Dienst nicht noch über die sieben Prozent hinauswachsen zulassen.

2018 wurde vom Senat eine Gestehungskostenanalyse durchgeführt. Diese sollte ermitteln, wie hoch die tatsächlichen Sachkosten-Ausgaben der Träger sind. Wenn man vielleicht auch hoffte, Sparpotentiale zu entdecken, ergab die Analyse, dass bei den Sachkosten eine Unterfinanzierung von 25 – 35 Prozent vorlag. Diese Differenz wird nun in zwei-bis-drei-Prozent-Schritten angegangen. Das heißt: bei einer tatsächlichen jährlichen Anpassung in dieser Größenordnung kann das Sachkosten-Defizit bereits in 10 Jahren überwunden werden.

Da nun auch zwischen dem Land Brandenburg und dem Land Berlin, aufgrund unterschiedlicher Tarife, eine erhebliche Lohndifferenz zu Gunsten Brandenburgs liegt, zog es den einen oder die andere ins Umland. Diese Differenz wird nun im neuen Jahr nicht beseitigt, aber deutlich reduziert. Doch auch dieser erfreuliche Zuschlag erreicht die Mitarbeiter der freien Träger nur zu 94 Prozent. Erstaunlich, dass manche Politiker der Parteien, die für die kostenblattfixierte Ungleichbehandlung mit verantwortlich sind, sich kämpferisch zu Wort melden und einfordern, dass doch nun alle Träger endlich auch nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes zahlen sollten.

Ist das Rechenschwäche oder Zynismus? Ich erinnere: Bei jeder tariflichen Anpassung seit den neunziger Jahren wurden lediglich 93 Prozent, sprich 7 Prozent weniger weiter gegeben. Und bei der in Aussicht gestellten Anpassung zum 01.01.2020 gibt es auch lediglich 94 Prozent. Und nun soll man plötzlich 100 Prozent daraus machen können?

Fachkräftemangel lange bekannt

Nun ist ja bekannt, dass ErzieherInnen Mangelware sind. Ein Umstand, der den Trägern schon länger auffiel. Sie forderten helfende Maßnahmen ein. Die öffentliche Seite hat diesen Fakt erst recht kurzfristig und nur zögerlich eingeräumt. Folge: Bei den öffentlichen Fachschulen reduzieren sich jährlich die Absolventenzahlen seit 2014 (!). Im Ausbildungsjahr 2019/2020 sind es rund 1.000 AbsolventInnen weniger(!) als 2014/15. Die freien Schulen haben im gleichen Zeitraum die Absolventenzahlen jährlich gesteigert. So werden 2019/20 ca. 3.100 (!) AbsolventInnen mehr ausgebildet als 2014/15.

Wenn man einen gesetzlichen Kitaplatzanspruch formuliert und diesen umsetzen möchte, dann ist zu mindestens den freien Trägern bewusst, dass zusätzliche Kitaplätze geschaffen und zusätzliches Personal ausgebildet werden muss.  Die Eigenbetriebe haben es in der Vergangenheit fast ausschließlich den freien Trägern überlassen, zusätzliches Personal auszubilden. Auch der Kitaplatzausbau wurde im Wesentlichen von den freien Trägern getragen. Daher beträgt der aktuelle Anteil der Kitaplätze bei den freien Trägern 79 Prozent (ehemals 60 Prozent).

Hauptstadtzulage: freie Träger gehen leer aus

Not macht offensichtlich erfinderisch: Wozu selbst ausbilden, wenn man kostengünstiger Personal zum Wechsel motivieren kann? In diesem Sommer erhielten die freien Träger ihre neuen Kostenblätter (Basis für eine Lohnverbesserung) erst, als die Eigenbetriebe und Schulen bereits nach den neuen Tarifen bezahlten. Wie ist das möglich, wenn die Eigenbetriebe eigentlich für ihre Finanzierung auf die gleichen Kostenblätter zugreifen? Ein bedauerlicher Fehler oder Kalkül?

Schritt zwei, nur die ErzieherInnen in den Schulen und Eigenbetrieben sollen ab November 2020 einen Zuschlag von 150 Euro außerhalb jeglicher Tarifvereinbarungen bekommen. Möglich macht das die von den regierenden Parteien eingebrachte Idee, allen Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst, die weniger als 5.000 Euro monatlich beziehen, eine Zulage von 150 Euro zu gewähren. Toll, schließlich ist das Leben in Berlin auch nicht ganz billig. Nur sollen ausschließlich die ErzieherInnen in den Eigenbetrieben und Schulen diese Zulage bekommen und die Kollegen bei den freien Trägern gehen leer aus.

Damit verabschiedet man sich offiziell von der Mär, freie Träger und die Eigenbetriebe arbeiteten auf der gleichen finanziellen Basis, den sogenannten Kostenblättern. Wurde in den vergangenen Jahren noch der Schein halbwegs gewahrt, Zuführungen erfolgten diskret in Form von Zuwendungen für spezielle Lohnverpflichtungen und als Ausgleich für den hohen Sanierungsbedarf, lässt man diese Zurückhaltung nun hinter sich. Damit wird der bestehende Rahmenvertrag zwischen den freien Trägern, den Ligaverbänden und dem Senat grundlegend verletzt.

Das wirkt, als würde man bei Wohnungsknappheit nicht mehr Wohnungen bauen, sondern lieber mit Sanktionen den Bestand und dessen Vergabe steuern wollen.

Dennoch sind die freien Träger nicht unglücklich darüber, dass es die Eigenbetriebe gibt. Sie werden besser behandelt, klar. Wie bei einem Lieblingskind wird der eine oder andere Groschen extra zugeschoben. Doch so weiß das Land, was es tatsächlich kostet, Kitas zu betreiben. Diesen Zugang hat sich beispielsweise Brandenburg nicht erhalten. Da herrscht viel Misstrauen und Unkenntnis zwischen freien Trägern einerseits und dem Land und den Kommunen andererseits bezüglich der wahren Kosten.

Doch angesichts der realen Zahlen befällt das Land Berlin Scham. 2016 und 2018 wurden Berichte zur Wirtschaftlichkeit der Eigenbetriebe dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Gab es den ersten Bericht noch in Form von zwei Exemplaren pro Fraktion, wurde 2018 nur noch ein Exemplar pro Fraktion bereitgestellt. Strenge Verschlusssache!

Freie Träger sind unterfinanziert

Jeder Träger weiß um die systematische Unterfinanzierung der Kitaarbeit. Kleine Träger behelfen sich durch Eigenleistungen der Eltern oder durch gesonderte Zuschläge. Auch dies versucht man von Seiten des Landes zu unterbinden mit ungeprüften willkürlichen Obergrenzen, ungeachtet der tatsächlichen, kita- und trägerbezogenen Situation. Größere behelfen sich durch schlanke Strukturen. Manch einer bleibt einfach auf der Strecke.

Sollte der Hauptstadtzuschlag tatsächlich so umgesetzt werden, verletzt das Land den bestehenden Rahmenvertrag und untergräbt die Zusammenarbeit mit den freien Trägern. Ist die Linderung der Personalnot in den Schulen und Eigenbetrieben des Landes Berlin wirklich die einzige Handlungsmaxime? Und damit legitimierter Grund, die freien Träger zu brüskieren?

 

Foto: Bild von moerschy auf Pixabay