Positionspapier des Landesverbands Baden-Württemberg
Stand: 10.06.2021

Folgen der Corona-Pandemie für Kinder

Was bedeutet die Corona-Pandemie für Kinder? Ergebnisse aus Langzeitstudien zeigen, dass sich die Lockdowns und die Schließung aller Bildungs- und Teilhabeeinrichtungen nicht nur auf das soziale Leben der Kinder, sondern auch auf deren Körper und Psyche auswirkt. Die Pandemie beherrscht den Großteil ihres bisherigen Lebens: Den Kindern wurde jegliche Struktur ihres Alltags entrissen, was weitreichende Folgen mit sich bringt.
Während Kinder normalerweise im jungen Alter die meisten Erfahrungen sammeln, bleiben für die aktuelle Kindergeneration viele Aktivitäten auf der Strecke. Weihnachten wird nur im engsten Familienkreis gefeiert, Kindergeburtstage fallen aus, von Freizeitausflügen in den Zoo oder ins Schwimmbad ganz zu schweigen. Durch die Kita-Schließungen haben Kinder weniger Gelegenheiten, Erfahrungen im sozialen Miteinander zu machen und neue Freundschaften zu knüpfen oder bestehende Kontakte zu pflegen. Aber Kinder brauchen Kinder!
Einige Kinder brauchen besonders viel Zuwendung und klammern sich an die Eltern, andere sind verhaltensauffällig, entwickeln Tics oder haben ein übermäßiges Kontrollbedürfnis, das bis zur Magersucht führen kann. Kinder- und Jugendärzte warnen vor Defiziten in der körperlichen Entwicklung, in der Motorik sowie vor gesundheitlichen Folgen durch Übergewicht. Die psychische, kognitive und körperliche Entwicklung – und das alles versteht man unter Bildung – vieler Kinder sei nicht mehr altersgemäß. Das natürliche kindliche Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnis wurde in den Lockdowns massiv eingeschränkt. Wissenschaftler*innen befürchten bereits Langzeiteffekte für zukünftige Kompetenzen im weiteren Bildungsprozess und im sozialen Miteinander.

Begleiten und fördern statt „aufholen“

Das Aktionsprogramm der Bundesregierung „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ kann nicht aufholen, was nicht aufzuholen ist. Die Lebensmonate im Lockdown und verpasste einmalige Ereignisse lassen sich für Kinder- und Jugendliche nicht auf- oder zurückholen. Anstatt sich auf das Aufholen von Lernleistungen zu konzentrieren, die auch bisher schon unterschiedlich waren, und mit von Bildungsforschern schon lange geforderten individuellen Bildungskonzepten ausgeglichen werden könnten, sollten Kinder und Jugendliche vielfältige Möglichkeiten des sozialen Miteinanders erhalten. Sie müssen zuallererst psychisch gestärkt werden, brauchen ausreichend Zeit und Raum für Freunde, Sport, Kultur und die dazu nötigen Angebote – über die Sommerferien hinaus.
Die aktuellen Programme aber fokussieren auf die Schule und dort auf die Lerninhalte. Die Bedürfnisse von Kita-Kindern bleiben wieder einmal kaum berücksichtigt. Kitas werden erneut nicht als wichtige Bildungsinstitutionen angesehen. Frühkindliche Bildung ist jedoch der Schlüssel für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen und die Vorläuferkompetenz für die weitere erfolgreiche Bildungsbiografie. Gerade die Erfahrung mit der Pandemie hat gezeigt, worauf es in einer erfolgreichen Gesellschaft ankommt: auf Interesse an neuen Aufgaben, Lösungskompetenz für völlig neue Probleme und Wissen über menschliches Verhalten und wichtige Kulturtechniken – damit konnte das Virus eingedämmt werden. All dies erfordert eine Persönlichkeitsbildung in deren Vordergrund die Entwicklung von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung steht und die ihren Fokus auf Fähigkeiten wie Kreativität, Selbstdenken und die Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit und Veränderung legt. Das Ziel muss eine resiliente Gesellschaft mit resilienten Menschen sein.
Die vorgesehenen Projekte zur Freizeitgestaltung für Kinder und Familien sind deshalb wichtig und müssen auch für unter 6-jährige Kinder gelten. Der Zugang zu Sportplätzen und -einrichtungen sowie zu Schwimmbädern muss vorrangig für Kinder gewährt werden. Die Landesregierung muss hier eigene Akzente setzen.

Freiwillige Impfungen für Kinder voranbringen

Der Deutsche Kitaverband schließt sich der Meinung der medizinischen Fachgesellschaften an und plädiert für eine freiwillige Impfung von Kindern im Rahmen der Empfehlungen der STIKO. Der Impfstatus von Kindern darf kein Ausschlusskriterium für Teilhabe an Bildung, Freizeit oder sozialen Aktivitäten sein. Der neue Normalbetrieb in Kitas ist auch ohne verpflichtende Impfung von Kindern sicher möglich. Gleichzeitig plädieren wir an alle Erwachsenen sich impfen zu lassen, dies führt zur Herdenimmunität und schützt unsere Kinder.

Kitas offenhalten

Der Kitabetrieb kann bereits jetzt durch konsequentes Handeln und Einsatz aller bekannten Maßnahmen sichergestellt und gleichzeitig das Ansteckungsrisiko für die Mitarbeiter*innen und Kinder möglichst geringgehalten werden. Daher müssen frühkindliche Bildungseinrichtungen bundesweit zukünftig inzidenzunabhängig offengehalten werden.

Dazu schlägt der Deutsche Kitaverband ein dreistufiges Vorgehen vor: pragmatisches und kindgerechtes Testkonzept für (nicht geimpfte und nicht genesene) Mitarbeiter*innen und Kinder, schnelle Impfung der Kita-Mitarbeiter*innen und Eltern sowie den Einsatz von Luftfiltergeräten.

Stufenplan

Aktuell sinken die Inzidenzen in vielen Städten und Landkreisen. Daher haben wir das von uns entwickelte Corona-Stufenmodell (6/2020) an die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, der Corona-Verordnung und die in den letzten Monaten gemachten Erfahrungen angepasst.
Daher sieht das neue Stufenmodell wie folgt aus:

  • Bis 50 Neuerkrankungen im Einzugsgebiet: In den Einrichtungen herrscht Regelbetrieb. Kinder und Mitarbeiter*innen können sich in den Kinderhäusern frei bewegen und sind flexibel einsetzbar. Auch Eltern und externe Kräfte dürfen die Einrichtungen betreten.
  • 50 bis 100 Neuerkrankungen: Es herrscht weiterhin der Regelbetrieb. Für die Kinder gibt es keine Veränderungen. Auch die Mitarbeiter*innen können sich weiterhin frei in den Einrichtungen bewegen und sind flexibel einsetzbar – allerdings gilt dafür die GGG-Formel (mind. alle zwei Tage Getestet-Geimpft-Genesen). Eltern dürfen die Einrichtung nur in dringenden Fällen (z. B. während der Eingewöhnung) betreten. Externe Kräfte dürfen die Einrichtung betreten. In beiden Fällen gilt die GGG-Formel.
  • Bei 100 bis 165 Neuerkrankungen: Die Einrichtungen führen umfassende, verpflichtende Selbsttests zum Schutz von Kindern und Mitarbeiter*innen ein. Ü3-Kinder müssen sich dann zwei Mal wöchentlich vor dem Betreten der Einrichtung testen lassen. Für die Mitarbeiter*innen gilt die GGG-Formel. Sollte dies nicht möglich sein, werden wieder Kohorten gebildet. Eltern dürfen die Einrichtung nur in dringenden Fällen (z. B. während der Eingewöhnung) betreten. Externe Kräfte dürfen die Einrichtung betreten. In beiden Fällen gilt die GGG-Formel.
  • Über 165 Neuerkrankungen: In diesem Fall tritt die Bundesnotbremse in Kraft. Eine Notbetreuung findet unter den bekannten und etablierten Kriterien statt.

Regelmäßige Tests sind neben einer Impfung die beste Möglichkeit, einen hohen Schutz für Kinder und Mitarbeiter*innen mit den jeweiligen Familien zu gewährleisten. Daher appellieren wir daran, die Kinder, unabhängig der jeweiligen Stufe und Inzidenz, in den Einrichtungen testen zu lassen. Dies bringt einen größeren Spielraum für die pädagogische Arbeit und Gruppenkonstellation. Entsprechend hat die GGG-Formel einen hohen Stellenwert in unserem Vorgehen.

Neuer Normalbetrieb in Kitas

Die Corona-Pandemie wird auch mit einem Voranschreiten der Impfquoten nicht ganz verschwinden. Mutationen und regionale Ausbrüche werden den Alltag zukünftig immer wieder prägen. Umso wichtiger ist es für Kitas, Tagespflegestellen und Horte jetzt Konzepte für einen neuen Normalbetrieb zu entwickeln. Gleichzeitig müssen die Rahmenbedingungen für den Kita-Betrieb so ausgestaltet sein, dass sie zukunftsfähig sind.
Der Deutsche Kitaverband legt dabei den Schwerpunkt auf folgende Bausteine:

  • Grundsätzlichen Infektionsschutz in Kitas (nicht nur bezüglich Corona) etablieren: AHA+A-Formel einhalten, kranke Kinder und Erwachsene bleiben zuhause.
  • Bei niedrigen Inzidenzen weiterhin ein freiwilliges Testangebot für Mitarbeiter*innen und Kinder aufrechterhalten, bei hohen Inzidenzen Testpflicht.
  • Für vollständig geimpfte oder genesene Mitarbeiter*innen (unter Vorlage des Impfausweises beim Arbeitgeber oder entsprechender Bestätigung) entfallen Test- und Maskenpflicht.
  • Stetige Weiterentwicklung von Impfangeboten (Auffrischungen/Mutanten) und priorisierte Impfungen für Beschäftige in Kitas.
  • Rückkehr zum pädagogischen Konzept des Trägers/zur Kohorten-übergreifenden Arbeit, wenn Inzidenzen dies rechtfertigen.
Um die Folgen der Pandemie aufzufangen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen sind Anpassungen im Personalbereich notwendig:
  • Mehr Leitungszeit und Zusatzfunktionen pädagogischen Bereich,
  • Einsatz von Spezialist*innen mit finanzieller Förderung durch Länder und Kommunen, da aufgrund des Fachkräftemangels nicht ausreichend Erzieher*innen zur Verfügung stehen,
  • Einsatz von qualifizierten Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen oder für diese Aufgabe besonders qualifizierter Kräfte, um Kinder mit besonderem Bedarf angemessen zu begleiten,
  • Eine geregelte und ausreichende Bezuschussung für administrative Kräfte,
  • Beibehaltung der Flexibilisierung bzw. Anrechnung von sonstigen Mitarbeiter*innen auf den Mindestpersonalschlüssel, um ggf. auf eine geänderte Pandemielage reagieren zu können.

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