Landesverband Baden-Württemberg, 18. Dezember 2023

Verschulung abwenden

Die Bedeutung der Kindertageseinrichtungen hat sich in den letzten 20 Jahren stark gewandelt:

  • Viel mehr Kinder gehen immer früher und immer mehr Stunden täglich in die Kita.
  • Sie hat nicht mehr nur die Aufgabe der Betreuung, sondern auch von Bildung und Erziehung.
  • Es gibt zahlreiche Studiengänge und Forschung zu frühkindlicher Bildung und Pädagogik.

Trotzdem schneidet Deutschland in den Vergleichstests in den Schulen schlecht ab (PISA, IQB). Weil sich in Baden-Württemberg insbesondere im IQB-Test zeigte, dass 20% der Kinder in der 4. Klasse unter dem Mindeststandard in Lesen liegen und weitere 20% gefährdet sind, wurden im (staatlichen) Schulbereich zahlreiche Maßnahmen zur Leseförderung ergriffen.
Nun sollen auch die Kitas in ein schulisches Konzept einbezogen werden. Alle Kinder, die bei der Sprachentwicklung während der Einschulungsuntersuchung (ESU) Schwächen zeigen, sollen verpflichtend Sprachförderung (überwiegend durch Lehrer:innen) erhalten.
Das ist eine Denkweise, die zu einseitig die didaktisch-schulische Perspektive einnimmt, ohne sie aufgrund der schlechten Ergebnisse kritisch zu überdenken. Die Lesekompetenz der deutschen Kinder schneidet seit dem ersten PISA-Test im Jahr 2001 schlecht ab. Noch schlechter ist Deutschland nur bei der Chancengerechtigkeit. In fast allen OECD-Ländern haben Kinder aus Arbeiterfamilien bessere Chancen das Abitur zu machen als in Deutschland, wo die Wahrscheinlichkeit bei unter 30% liegt.

Kitas begleiten

Obwohl also klar ist, dass das Problem seit Jahrzehnten besteht und die bisherigen schuldidaktischen Maßnahmen die dem Motto „mehr vom Gleichen“ folgten, nicht fruchteten, soll es früher und mehr Schule für die Kinder geben.

Die erziehungswissenschaftliche frühkindliche Forschung jedoch besagt, dass Kinder in dem Alter ganz anders lernen. Es bringt nichts, 5-Jährige 4 Stunden die Woche in Sprache zu unterrichten. Zumindest ist klar, dass es viel effektiver ist, wenn die Kinder den ganzen Tag in der Kita ein alltagsintegriertes sprachförderliches Umfeld erleben. Die Kinder brauchen jederzeit Erwachsene, die interessiert an ihnen und ihren Sichtweisen auf die Welt sind und mit denen sie gemeinsam die Welt erforschen und ihre Erkenntnisse besprechen können. Doch gerade bei der Implementierung dieser modernen Pädagogik sind die Kitas zwar auf dem richtigen Weg, aber die Umsetzung ist weiterhin dringend zu stärken. Insbesondere durch den großen Kitaplatzausbau und den heutigen Fachkräftemangel, der auch bewirkt, dass die Qualifikation des Personals insgesamt abgenommen hat, ergeben sich Defizite.

Instrumente der Qualitätsentwicklung

Eine zielgerichtete Qualifizierung für alle Mitarbeiter:innen in den Kitas beginnt damit, dass die Träger wissen, wo besonderer Bedarf besteht. Dies ist aufgrund der vielfältigen Zusammensetzung der Kitas jeweils spezifisch und erfordert individuelle Maßnahmen, die nur durch die Träger gesteuert werden können. Systematische Qualitätsevaluation und die Steuerung durch die Träger sind für eine flächendeckende gute Kita-Qualität unverzichtbar. Bei der Weiterentwicklung helfen die üblichen und bereits angewandten Mittel, wie Aus- und Fortbildung, in die jedoch dringend investiert werden muss. Heute wird häufig genau an diesen Stellen gespart und die Qualifizierung nicht oder nicht ausreichend refinanziert (siehe Positionspapier: In Fort- und Weiterbildung bei Kita-Teams investieren – Deutscher Kitaverband (deutscher-kitaverband.de)). Durch den vermehrten Einsatz von Nicht-Fachkräften gewinnt dieses Instrument immer mehr an Bedeutung.
Ferner sollte es ein kita- und schulübergreifendes Gremium geben, welches das Kultusministerium bei der Qualitätsentwicklung berät und in dem alle Trägergruppen vertreten sind. Im Kultusministerium selbst müssen in der entsprechenden Abteilung (die es zu stärken gilt) Expert:innen für Frühpädagogik beschäftigt werden.

Datengestützte Qualitätsentwicklung

Dass es eine zunehmende datengestützte Qualitätsentwicklung im Schulbereich und systematische Unterrichtsbesuche und Weiterentwicklungen gibt, ist positiv. Dies sollte nach dem Vorbild Hamburgs weiter gestärkt werden.
Im Kitabereich fehlt eine solche Herangehensweise noch völlig, hier muss dringend aufgeholt werden. Allerdings sollten im Kitabereich systematische Evaluationen der pädagogischen Prozessqualität (d.h. des Outputs) durch verschiedene akkreditierte Anbieter oder durch die Unterstützung trägereigener professioneller Verfahren angeboten werden. Die Testung der Kinder zum Beispiel über die ESU sollte nicht im Vordergrund stehen.

Positionspapier als PDF

Foto von Jonathan Borba auf Unsplash