Frühkindliche Bildung und Betreuung in Baden-Württemberg stärken!

Gemeinsame Positionen der Landeselternvertretung baden-württembergischer Kindertageseinrichtungen (LEBK-BW) und des Deutschen Kitaverbands (Landesverband Baden-Württemberg)

1. Frühkindliche Bildung als eigenständige Säule im Bildungssystem

Spätestens die Corona-Pandemie hat allen Bürger*innen in unserem Land vor Augen geführt, welche Bedeutung Kita-Betreuung in der Lebensplanung von Familien hat und wie sich Kitas für die Kinder in Baden-Württemberg zu einem sozialen Bildungsort entwickelt haben. Die Landespolitik hat daher die Aufgabe, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen und dieser Bedeutung gerecht zu werden.

Frühkindliche Bildung und Betreuung ist mehr als die Vorbereitung auf die Schule, mehr als Betreuung und mehr als die Förderung der elterlichen Berufstätigkeit. Der Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung stellt nicht ohne Grund das Kind und dessen Recht auf Bildung, Förderung und Betreuung in den Mittelpunkt. Daraus folgt für uns, dass die frühkindliche Bildung als eigenständige Säule im Bildungssystem positioniert und ausgestaltet werden muss.

Das bedeutet nicht, einer Verschulung der Kindertagesbetreuung das Wort zu reden. Kindertageseinrichtungen und Fachkräfte müssen sich als Orte früher Bildung in eigenständiger Weise an den Bedürfnissen der kindlichen Entwicklung orientieren. Kindertageseinrichtungen sollen stärker in das soziale und räumliche Umfeld integriert und vernetzt werden. Das Land muss dafür die konzeptionellen und finanziellen Rahmenbedingungen bereitstellen.

2. Stellenwert frühkindlicher Bildung im Kultusministerium besser abbilden

Den Anspruch, eigenständige Säule im Bildungssystem zu sein, bildet die aktuelle Aufstellung im Kultusministerium nicht ab. Für die Weiterentwicklung des Systems werden ausreichende Ressourcen im Ministerium benötigt.

Über 450.000 Kinder von 0-6 Jahren werden in Baden-Württemberg in Kindertageseinrichtungen betreut. Im Kultusministerium gibt es dafür lediglich ein gemeinsames Referat „Grundschulen, Frühkindliche Bildung und Erziehung“. Das wird der Bedeutung der Frühen Bildung nicht gerecht. Im Ministerium sollte daher eine eigene Abteilung für frühkindliche Bildung eingerichtet werden und mit einer ausreichenden Zahl an erfahrenen Experten und Praktikern aus dem elementarpädagogischen Bereich besetzt werden.

Die Rolle und Aufgabe des Forums Frühkindliche Bildung bei der konzeptionellen Weiterentwicklung sind zu schärfen.

Es gilt zudem, dem Austausch mit den Kita-Trägergruppen und weiteren Stakeholdern eine neue Qualität zu geben und dabei die gewachsene Trägervielfalt abzubilden.

3. Qualität und Orientierungsplan

Daraus ergibt sich für uns die konsequente Evaluation und Fortschreibung des Orientierungsplans und dessen Weiterentwicklung zu einem Bildungsplan für die frühkindliche Bildung und Betreuung. Wir befürworten die Vielfalt an Trägern und Betreuungsformen. Wir möchten aber auch, dass Kinder und Eltern ebenso wie Fachkräfte auf einheitliche und verbindliche Handlungsrahmen und Qualitätskriterien aufbauen können. Hierfür ist die Finanzierung sicherzustellen und die Träger sind zu befähigen, diese Standards umsetzen zu können. Dazu gehört auch, Leitungszeit, Anleitungszeit, Evaluation und Prozessentwicklung verbindlich und verlässlich finanziell und ressourcenseitig zu fördern und von den Trägern einzufordern.

Das Land Baden-Württemberg sollte einen besonders hohen Wert auf die Output-Qualität legen. Was am Ende bei den Kindern ankommt ist entscheidend. Das Gute-Kita-Gesetz hat das Thema Qualität bundesweit positioniert. Nun stellt sich die Frage, wie die Politik Träger und Einrichtungen in ihrem Qualitätsstreben künftig noch stärker und effizienter unterstützen kann. Der Orientierungsplan muss verbindlich werden. Das Land sollte sich gegenüber dem Bund außerdem für die Wiederaufnahme des Prozesses für ein echtes Qualitätsgesetz mit einer Orientierung an der Ergebnis-Qualität stark machen. Baden-Württemberg muss externe Evaluation als für alle Kitas verpflichtend in das Kita-Gesetz aufnehmen. Die systematische und fachlich begründete Überprüfung und Einschätzung der erreichten Qualität der Kita-Arbeit sollte in einem modernen Bildungssystem selbstverständlich sein.

4. Fachkräftemangel bekämpfen

Der Bereich der frühkindlichen Bildung muss durch die Einstellung multiprofessioneller Teams breiter aufgestellt werden. Für alle Berufsgruppen (Kindheitspädagog*innen, Sonderpädagog*innen, Logopäd*innen usw.) sind motivierende finanzielle und Karriere-Anreize zu schaffen.

Das Kultusministerium arbeitet seit geraumer Zeit an einem Direkteinsteiger*innen-Programm für Baden-Württemberg. Dieses sollte als Baustein zur Bekämpfung des Fachkräftemangels zügig umgesetzt werden. Direkteinsteiger*innen können als Spezialist*innen für relevante Themen des Orientierungsplans eingesetzt werden. Mit ihrer Begeisterung für ihr Thema (z. B. als Handwerker*in, Gärtner*in, Naturwissenschaftler*in, als Sport-, Musik- oder Theaterpädagog*in) und ihrer persönlichen Eignung bieten sie Chancen auch unter den pädagogischen Fachkräften weniger vorhandenes Themenwissen kindgerecht einbringen zu können. Damit dies, auch im Zusammenspiel mit den Pädagog*innen, eine echte Bereicherung darstellt, ist die Betreuung der Teams maßgeblich.

Kitas brauchen außerdem die Möglichkeit:

  • In einem Kita-Team bis zu zehn Prozent der Fachkraftstellen mit Verwaltungsfachkräften besetzen zu können. Dies verändert nicht die Interaktionsqualität, da diese Aufgaben auch bisher im Rahmen des Fachkraftschlüssels erledigt werden.
  • Die Verwaltungsaufgaben zentral oder dezentral durchführen zu können. Die Erledigung dieser Aufgaben durch nicht-pädagogische Fachkräfte entspannt darüber hinaus den Arbeitsmarkt für pädagogische Fachkräfte.

5. Rechtsanspruch erfüllen, Platzausbau bedarfsgerecht finanzieren

Der Rechtsanspruch der Kinder auf frühkindliche Bildung, Förderung und Betreuung muss landesweit durchsetzbar sein, unabhängig von der Berufstätigkeit, dem sozialen Status oder Wohnort der Familien. Personalmangel und fehlende finanzielle Ressourcen von Kommunen sind neben anderen Punkten Ursachen für fehlende Plätze und nicht bedarfsgerechten Platzausbau. Der Platzausbau darf nicht von den finanziellen Möglichkeiten oder Schwerpunktsetzungen einzelner Kommunen abhängig sein.

Zwar wurden in Baden-Württemberg zwischen 2008 und 2018 1.082 (+13,8 Prozent) neue Kindertageseinrichtungen geschaffen (56 Prozent von freien Trägern). Im Jahr 2017 gaben aber immer noch 14 Prozent der Eltern in Baden-Württemberg an, dass sie für ihr unter dreijähriges Kind keinen Betreuungsplatz bekommen haben.

Das Land muss – auch aufgrund der gestiegenen Einwohnerzahlen – weiterhin großes Gewicht auf den Ausbau des Betreuungsangebots legen. Es muss die freien Träger beim Aufbau neuer Einrichtungen unterstützen, damit eine Angebotsvielfalt sichergestellt werden kann, die den unterschiedlichen Bedarfen der Familien entspricht. Die Landesregierung sollte hierfür ein eigenes Investitionsprogramm für die Träger auflegen. Ebenso sollte sie beim Bund darauf drängen, dass dessen Investitionsmittel für den Kita-Ausbau über das Jahr 2021 hinaus verstetigt werden.

Erheblichen Bedarf gibt es auch bei der Ausweitung der Betreuungszeiten. 67 Prozent aller Einrichtungen in Westdeutschland schließen vor 17 Uhr (2018). In Baden-Württemberg können gerade einmal 27 Prozent der Kinder im Alter von drei Jahren bis Schuleintritt eine Einrichtung mehr als 35 Stunden die Woche besuchen. Die Bezuschussung sollte sich an bedarfsorientierten und längeren Öffnungszeiten bis max. 55 Stunden orientieren. Diese sollten vom Land und den Kommunen entsprechend finanziell gefördert werden.

Eine wesentliche Ursache für Platzmangel ist neben dem nicht adäquaten Platzausbau der gravierende Personalmangel, der häufig zuerst die Ganztagesangebote betrifft. Für junge Familien sind Beruf und Familie immer weniger vereinbar, wenn die passenden Betreuungsangebote nicht verlässlich verfügbar sind. Eine kinderfreundliche Gesellschaft benötigt – neben der Chance, Kinder möglichst lange selbst zu betreuen – verlässliche und bedarfsgerechte Betreuungsangebote. Die Rahmenbedingungen sind durch das Land sicherzustellen.

Die Corona-Pandemie zeigt in diesen Monaten deutlich, dass nicht nur Fachkräfte und Kinder vulnerabel sind, das System der frühkindlichen Bildung an sich ist nicht krisenfest ausgestaltet. Während Schulen frühzeitig auf Fernunterricht umgestellt haben, blieben Kinder in der frühkindlichen Bildung und Betreuung überwiegend von ihrem vertrauten Umfeld in den Einrichtungen abgeschnitten. Für Kinder in der Kindertagesbetreuung und Kindertagespflege müssen verlässliche Angebote auch in Pandemiezeiten oder anderen Ausnahmesituationen geschaffen werden. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder auch in diesen Situationen erreicht werden und nicht „unter dem Radar“ verschwinden. Die Träger und Einrichtungen sind dazu technisch, organisatorisch und kompetenzseitig zu befähigen.

 

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