Zwei Expertinnen vom Internationalen Zentrum für Professionalisierung der Elementarpädagogik (PEP) stellten bei einer Veranstaltung des Deutschen Kitaverbands in Stuttgart ein neuartiges, weitgehend digitalisiertes Qualifizierungsprogramm für Hilfskräfte in Kitas vor, das in Österreich bereits umgesetzt wird. Damit stießen sie eine rege Diskussion an. Ließen sich mit diesem Modell auch in Deutschland neue Zielgruppen für die Arbeit in Kitas gewinnen und qualifizieren?

„Innovative Lösungsansätze für den Fachkräftemangel“ versprach der Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Kitaverbands den Teilnehmer:innen an einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung Anfang März 2024 in Stuttgart. Besucher:innen von städtischen und freien Kita-Trägern, Verbänden sowie aus Politik und Elternschaft waren gekommen.

Sophie Westphal, Standortleiterin PEP Berlin, bei ihrem Vortrag

Catherine Walter-Laager, Professorin an der Universität Graz und Leiterin des Internationale Zentrum für Professionalisierung der Elementarpädagogik (PEP), und Sophie Westfahl, PEP-Standortleiterin in Berlin, berichteten von einer Bundesinitiative in Österreich: Elementar +. Das dortige Bildungsministerium rief unter diesem Namen ein Qualifizierungsprogramm ins Leben, um dem Fachkräftemangel in Kitas zu begegnen. Zielgruppe sind Menschen, die keine formale Qualifizierung für die Arbeit in einer Kita mitbringen, dort jedoch als Assistenzkräfte tätig sind. Der dreijährige berufsbegleitende Lehrgang ist – und hier wird es spannend – großteils digital. Mit Hilfe von Podcasts, Erklärvideos, Expert:inneninterviews, Quizzes und Fachtextenerarbeiten sich die Teilnehmenden viele Inhalt eigenständig. Einmal in der Woche treffen sie sich online zu einer Lehrveranstaltung. Transferübungen für die Praxis erproben die Lernenden in ihrer Einrichtung. Zwei bis drei Blocktage pro Semester sowie regionale Kleingruppen, die sich monatlich treffen, ermöglichen den persönlichen Austausch. Ausgewiesene Fachleute begleiten diese Treffen und besuchen die Studierenden in ihren Einrichtungen. Die Teilnahme am Qualifizierungsprogramm, das einen Abschluss als Elementarpädagoge/Elementarpädagogin (das entspricht einem/einer staatlich anerkannten Erzieher:in in Deutschland) ermöglicht, ist kostenfrei.

Die Nachfrage ist groß

„Mit dieser Qualifizierung erreichen wir Personen, für die der Besuch klassischer Lehrveranstaltungen nicht möglich ist“, erklären die Referentinnen. „Aktuell ist die erste Kohorte in der Qualifizierung. Viele Teilnehmende sind zwischen 30 und 40 Jahren alt. Die meisten von ihnen haben Kinder. Die Art des Lernens, die wir anbieten, kommt ihrer Lebenssituation entgegen.“ Im Herbst soll die nächste Gruppe mit der Qualifizierung starten. „Wir haben dafür noch keinerlei Werbung gemacht und trotzdem bereits 700 Bewerbungen erhalten“, berichtet Sophie Westphal. „Das spricht dafür, dass wir mit unserem Programm einen attraktiven Weg eröffnen.“

Praxisintegrierte Ausbildung und Direkteinstieg – Erfolgsmodelle in Baden-Württemberg

Klaus Lorenz, Abteilungsleiter im Kultusministerium Baden-Württemberg

Anschließend sprach Klaus Lorenz, Leiter der Abteilung für Berufliche Schulen, Frühkindliche Bildung und Weiterbildung im Kultusministerium Baden-Württemberg. Er erklärte, dass laut Ländermonitor frühkindliche Bildungssystem der Bertelsmann Stiftung bis 2025 in Baden-Württemberg 14.800 Fachkräfte fehlten. In der Vergangenheit sei es bereits gelungen, einen großen Personalaufbau zu realisieren. Dazu habe auch die neuartige Praxisintegrierte Ausbildung (PiA) beigetragen, die anschließend bundesweit zum Vorbild wurde. Jetzt habe das Land mit dem Direkteinstieg eine niedrigschwellige Möglichkeit geschaffen, in Kitas zu arbeiten und sich parallel als Sozialpädagogische Assistentin/Sozialpädagogischer Assistent zu qualifizieren.

Herausforderung: Fachkräfte im Berufsfeld halten

Das Arbeitsfeld Frühpädagogik verliere jedoch bereits in der Ausbildungsphase rund ein Drittel der Berufsanfänger:innen. Später verlasse jede:r siebte Beschäftigte den Erzieher:innenberuf zumindest zeitweise. „Wenn es gelänge, diese Menschen zurückzugewinnen, hätten wir rein theoretisch 14.000 Fachkräfte mehr“, rechnete Klaus Lorenz vor. Sonstige Möglichkeiten am Arbeitsmarkt seien weitgehend ausgeschöpft. Andere Branchen kämpften ebenfalls mit Fachkräftemangel. Auch die Akquise von Personal aus dem Ausland stoße an Grenzen – unter anderem, weil viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache die Kitas besuchten und gute deutsche Sprachvorbilder benötigten.

Digitalisierte Ausbildung auch in Baden-Württemberg?

Professorin Catherine Walter-Laager, Leiterin des PEP, diskutiert mit dem Publikum

Ein zentrales Thema der anschließenden Diskussion war die Frage, wie sich die positiven Erfahrungen mit Elementar+ aus Österreich in Baden-Württemberg fruchtbar machen und sich so neue Zielgruppen für die Arbeit in Kitas aktivieren und qualifizieren ließen. Klaus Lorenz sagte: „Ich stehe nicht gänzlich auf der Bremse, wenn es um eine stärkere Digitalisierung geht.“ Er sprach sich dafür aus, mit Pilotprojekten zu starten, Erfahrungen zu sammeln und das Modell dann ggf. in der Fläche auszurollen. Damit stieß er beim Publikum auf Gegenstimmen. Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands, sagte: „Das Problem ist so drängend, dass wir keine Zeit haben. Wir brauchen jetzt mehr Flexibilität. Wir müssen Interessierte da abholen, wo sie stehen, und passgenauere Angebote machen können, um sie für unseren Branche zu gewinnen.“ Ein Vertreter eines kommunalen Trägers stimmte zu: „Uns steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern bereits darüber. Da hilft es uns nicht, Qualität hochzuhalten. Wir brauchen schnelle Lösungen für mehr Menschen im System.“ Catherine Walter-Laager betonte, dass die Elementar+ Lehr- und Lernmaterialien als offene Bildungsressourcen, sogenannten Open Educational Resources (OER), allen Interessierten zugänglich seien. „Dadurch kann eine sehr schnelle Umsetzung gelingen“, sagte die Professorin. „Für einen Austausch dazu stehen wir zur Verfügung.“ Dorothea Wehinger, Landtagsabgeordnete der Grünen, sagte: „Mir gefällt die Idee eines digitalen Qualifizierungsangebots. Es bietet größere Anreize für bestimmte Zielgruppen. Das nehmen ich mit.“

Fehlende Stellen für studierte Kindheitspädagog:innen

Andere Wortmeldungen bezogen sich darauf, dass das System der Kindertagesbetreuung viele Kräfte mit Studienabschluss verliert, weil keine passenden Stellen für sie da sind. „Sie finden keine Leitungsstelle, sind dann als Erzieher:innen tätig, gehaltsmäßig auch so eingruppiert und dann über kurz oder lang weg“, sagte ein Teilnehmer. Ein anderer pflichtete bei: „Wir verlieren viele Kindheitspädagog:innen an die Jugendhilfe.“ Catherine Walter-Laager erklärte: „Das sind genau die Leute, die wir als Betreuer:innen unserer regionalen Lerngruppen und als Praxisbegleiterinnen benötigen. Wir holen sie uns gerne.“ Könnte ein an Elementar+ angelehntes Angebot damit nicht vielleicht gleich mehrere Probleme lösen? „Wir werden im Deutschen Kitaverband darüber diskutieren und in einem Positionspapier einen konkreten Vorschlag machen“, versprach Clemens M. Weegmann, Mitglied im Landesvorstand Baden-Württemberg des Deutschen Kitaverbands, der durch den Abend führte. „Sie werden von uns hören.“