Positionspapier

Vielfalt in der Ganztagesbetreuung von Grundschülern sicherstellen, Freie Kita-Träger beteiligen

Der Deutsche Kitaverband begrüßt die politische Initiative zum Ausbau und zur Förderung der Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG), wenngleich sie das gesamte System vor große Herausforderungen stellt.

Bedarfe und Finanzierung

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) geht davon aus, dass sich beim Bedarf der Eltern – unter Berücksichtigung der Bevölkerungsvorausrechnung – eine zu füllende Lücke von bis zu 17 Prozentpunkten bis zum Schuljahr 2029/30[1] im Vergleich zu heute ergeben könnte. Übersetzt heißt dies: Die 2019/20 vorhandenen Plätze müssten innerhalb eines Jahrzehnts nochmals um 31 bis 42 Prozent bis zum Schuljahr 2029/30 ausgebaut werden.[2]

Hinzu kämen vor allem für die Länder und die Kommunen zusätzliche jährliche Personal- und Betriebskosten, die sich bei einer ausschließlichen Einstellung von Fachkräften auf Kosten in Höhe von bundesweit zwischen 2,2 und 3,0 Mrd. Euro beliefen. Auch hier wird aus unserer Sicht das jährliche finanzielle Engagement des Bundes für den laufenden Betrieb über das angekündigte Maß hinaus notwendig.

Anschubinvestitionen

Ein Ausbau an Plätzen in dieser Größenordnung würde bundesweit zu zusätzlichen Investitionskosten in Höhe von 3,9 bis 5,3 Mrd. Euro führen. Im mit dem Ganztagsfinanzierungsgesetz geschaffenen Sondervermögen stehen aber bis 2027 nur 2,75 Milliarden Euro zur Verfügung. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der Platzausbau im Kita-Bereich keineswegs als abgeschlossen gelten kann.

Personalfragen

Um das zusätzliche Ganztagsangebot sicherstellen zu können, werden bis zum Schuljahr 2029/30 bundesweit zwischen 29.000 und 39.600 zusätzliche Vollzeitstellen benötigt, sofern ein Personalschlüssel von 1 zu 10 angewandt würde. Ein Verhältnis von 1:10 fordern wir, um eine gute Betreuungssituation gewährleisten zu können. Für Kinder mit besonderen Bedürfnissen müssen zusätzliche Ressourcen geschaffen werden.

In der sozialpädagogischen Ausbildung an Fachschulen bzw. Fachakademien für Sozialpädagogik stehen seit dem Rechtsanspruch auf einen Krippen- und Kindergartenplatz diese Bereiche im Vordergrund. Hier müssen die Lehrgänge entsprechend angepasst und eine spezifische Vorbereitung für die Arbeit in Horten aufgenommen sowie die Weiterbildung für Mitarbeiter*innen in Horten ausgebaut werden. Die Kapazitäten an den Fachschulen müssen für den steigenden Bedarf erweitert werden.[3] Die in den letzten Jahren aufgebauten Studiengänge der Kindheitspädagogik sollten von Anfang an mitbedacht werden. Dafür müssen im Ganztag entsprechende Gehaltsgruppen eingeplant sein, vor allem für konzeptionelle und Leitungsaufgaben.
Ohne einen hohen Qualitätsanspruch geht es nicht. Gerade angesichts der derzeit noch bestehenden Knappheiten müssen wir durch eine Zielvorstellung eines guten Ganztags ein attraktives Arbeitsfeld schaffen. Dazu gehört ein definierter Mindestanteil an einschlägig ausgebildeten Fachkräften in jedem Team. Zusätzliche Spezialist*innen und Quereinsteiger*innen, die bei ihrem Einstieg nachqualifiziert werden, vervollständigen die Teams. Begleitende, regelmäßige externe Evaluation sollte berücksichtigt werden, um einen hohen Qualitätsstandard zu sichern.

Vielfalt der Bildungsangebote berücksichtigen

Der Deutsche Kitaverband setzt sich ein für die Pluralität der Bildungsangebote und für das Recht der Eltern, zwischen unterschiedlichen – möglichst wohnortnahen – pädagogischen Konzepten, Bildungsangeboten sowie Trägern wählen zu können (Wunsch und Wahlrecht der Eltern). Diese Vielfalt gilt es bei der Förderung und dem Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zu berücksichtigen. Die Förderung muss trägerneutral und gerecht geschehen.

Freie Träger aus dem Bildungsbereich, die bereits mit Kindern arbeiten, bringen wesentliche Kompetenzen für einen gelungenen Ganztag mit. Sie wissen, wie freudvolles, ganzheitliches Lernen in der Kindheit funktioniert, und wie ein partizipatives Miteinander in einer Bildungseinrichtung gestaltet werden kann. Kita-Träger bringen viel Know-How in der Gestaltung eines ausgewogenen, anregungsreichen Tagesablaufs mit. Sie praktizieren bereits partizipative Abläufe mit der Altersgruppe sowohl direkt vor dem Grundschulbeginn als auch in bestehenden Horten und könnten den Übergang in die Schule durch eine weitere Begleitung der Kinder erleichtern. Kita-Träger haben eine hohe sozialpädagogische und erziehungswissenschaftliche Kompetenz. In den Kitas verantwortet ein mehrprofessionelles Team gemeinsam den Alltag, die Bildungsgelegenheiten, die Gestaltung von Essens- und Pflegesituationen: das gesamte soziale Miteinander. Lernen und Entwicklung findet in all diesen Situationen statt.

In den Bundesländern existieren verschiedene Traditionen der Ganztagesbetreuung. Es gibt Bundesländer, in denen die schulische Ganztagesbetreuung überwiegt und es gibt Bundesländer mit einer stark ausgeprägten Hortkultur. Mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Qualitätsstandards haben beide Ansätze eine Daseinsberechtigung. Die schulische Ganztagesbetreuung ist in der politischen Diskussion bereits stark positioniert. Kita-Träger und reine Hortbetreiber als Experten für den Dreiklang Bildung, Betreuung und Erziehung in der Jugendhilfe bieten hier bereits jahrzehntelange Erfahrung insbesondere in der Andersartigkeit schulischer und außerschulischer Angebote: Sie wissen, wie ein Tag für Kinder mit Erlebnissen, Bildung und Betreuung gestaltet werden muss. Ihnen stehen in dieser Hinsicht Kapazitäten und Erfahrungswerte zur Verfügung.

Sozialpädagogische Tradition

Der Hort ist eine Tageseinrichtung für Kinder im Anschluss an die Unterrichtszeit in der Schule (§22a SGBVIII). Detaillierte Regelungen finden sich in den Kita-Gesetzen, Fördergrundsätzen und Bildungsplänen der Bundesländer. Paragraf 24 des Sozialgesetzbuch VIII regelt den Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege in Absatz (4): „Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten.“ Auch der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung im Grundschulalter soll richtigerweise im SGBVIII verankert werden.

Der Hort, mit seinem spezifisch sozialpädagogischen Angebot, ist eine wichtige Form der Bildung, Erziehung und Betreuung für Kinder nach der Einschulung. Er ist wichtig für den Schulerfolg und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Grundsätzlich haben Hort und Schule gleiche oder ähnliche Bildungsziele, jedoch mit einer anderen schwerpunktmäßigen und methodischen Umsetzung. Derzeit gibt es keine ausreichenden Regelungen zur Zusammenarbeit von Hort und Schule, lediglich einige Empfehlungen. Ein Kooperationsgebot auf Augenhöhe muss im SGBVIII noch geregelt werden.

Stärken des Horts

Der Hort sollte nicht zum verlängerten Arm der Schule werden, d.h. konkret, dass Hausaufgaben nicht zum Mittelpunkt der Hortarbeit werden dürfen. Natürlich soll die Erledigung der Hausaufgaben aus dem Aufgabenbereich des Hortes nicht ausgeblendet werden. Die Erzieher*innen geben den Kindern individuelle Hilfen, wo sie notwendig sind. Reinen Nachhilfeunterricht kann und soll der Hort aber nicht leisten.[4]

Zur altersgemäßen Förderung[5] von Hortkindern gehört es, dass sie das Leben im Hort (wie sie es von der Kita gewohnt sind) mitgestalten und mitentscheiden können, wie sie ihre Freizeit verbringen wollen, welche Projekte durchgeführt werden usw. („Partizipation“). Hortkinder benötigen ausreichend Raum und Zeit, um eigene Aktivitäten zu entwickeln, für fantasievolles Spiel, für Sport, Werken und Unternehmungen. Die Horte bieten Entwicklungsspielräume insbesondere für die Herausbildung von Sozialkompetenzen und Zukunftsskills wie Kreativität durch Projektarbeit und weitere moderne Methoden.

Die Ganztagesschule in ihrer heutigen Form hat häufig ein Partizipationsdefizit. Diese ist aber in der Frühpädagogik zentral. Durch Partizipation werden die Rechte der Kinder hervorgehoben, z.B. in der Kinderkonferenz. Es ist ein Entwicklungsthema der Kinder: Sie wollen mitentscheiden, was richtig und was falsch ist, wollen Verantwortung übernehmen und nützlich sein. Partizipation ist aber auch ein zentrales pädagogisches Handlungsprinzip und Bedingung für Demokratie. Das ist ein Weg wie Horte dabei unterstützen können, dass Kinder zu mündigen Bürgern werden.

Die Kosten für die Hortbetreuung erscheinen auf den ersten Blick teurer, da Horte mehr Fachkräfte und Räume erfordern, aber sie bieten eine hohe pädagogische Qualität und gehen auf die Bedürfnisse der Kinder in dieser Altersgruppe ein. Hort-Kinder wollen positive pädagogische Beziehung zu den Erwachsenen und zu Gleichaltrigen. Wichtig sind für sie Aktivitäten im Freien, Ausflüge und Bewegung sowie die Bearbeitung von Inhalten dieser Altersphase.[6]

Der Hort kann diese Bedürfnisse befriedigen, da

  • Kitaträger Spezialisten für die frühkindliche Bildung sind.
  • die personellen Rahmenbedingungen (theoretisch) gut sind. Es gibt – so unsere Forderung – pädagogisch ausgebildete Fachkräfte und einen besseren Personalschlüssel als in der Schule.
  • die zeitlichen Rahmenbedingungen meist bedarfsgerecht sind. Öffnungszeiten sind flexibel, verlässlich und decken oft auch Ferienzeiten ab – über das im GaFÖG    verankerte Maß hinaus.
  • es einen umfassenden Bildungsauftrag und eine hohe pädagogische Qualität gibt. Bildung wird im Alltag erlebbar: Zusatzangebote wie Sport oder Musik können besser integriert werden.
  • bedürfnis- und kindzentriert gearbeitet wird.
  • er vertraute Beziehungen und eine hohe Interaktionsqualität bietet.
  • Kinder Freiräume zum „Streunen“ und für eigene Initiativen erhalten.

Als positives Anschauungsbeispiel kann Berlin dienen. Alle Berliner Grundschulen sowie Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt bieten eine „ergänzende Förderung und Betreuung von Grundschulkindern (Hort)“. Schulkinder können damit von der ersten bis zur sechsten Klasse verschiedene Angebote der Ganztagesbetreuung mit individuellem Umfang der Betreuung nutzen. Ziel ist, Schule als Lern- und Lebensort zu gestalten. Im Ganztagsbetrieb sind dort Bildung, soziales Lernen und sinnvolle Freizeitgestaltung miteinander verzahnt und ermöglichen so eine individuelle Förderung der Kinder.

Ganzheitliches Bildungsverständnis

Unserer Erfahrung nach hat ein großer Teil der Kinder erhebliche Schwierigkeiten mit dem Übergang in die Grundschule. Auch neuere Kooperationsprogramme der Bundesländer haben daran nichts geändert. Die hohe sozialpädagogische und erziehungswissenschaftliche Kompetenz in Kitas mit ihrem Wissen um freudvolles, ganzheitliches Lernen muss genutzt werden, indem Kita-Träger gleichberechtigt in die Entwicklung der Ganztagesbetreuung von Grundschulkindern einbezogen werden. Denn der Ausbau der Ganztagesbetreuung im Grundschulbereich könnte eine Chance sein, dass die Schulzeit sich verändert zu einer Zeit für das „ganze Kind“ und nicht nur für seine fachliche Entwicklung.

Bildung geht weit über den Unterricht hinaus. Das moderne Bildungsverständnis der Schule wie der Kindertagesbetreuung umfasst die formellen wie die informellen[7] Bildungsprozesse in formalen Settings (d.h. im staatlichen Bildungssystem) wie in non-formalen Settings (d.h. in der außerschulischen Bildung), so der 12. Kinder- und Jugendbericht. Eine einseitige Betonung würde wesentliche Bildungschancen der Kinder reduzieren.

In den Kitas verantwortet ein mehrprofessionelles Team gemeinsam den Alltag, die Bildungsgelegenheiten, die Gestaltung von Essens- und Pflegesituationen: das gesamte soziale Miteinander. In Schulen sind die Lehrkräfte vorrangig für Bildung zuständig und in den übrigen Zeiten findet „Ganztagsbetreuung“ statt. Im Hort könnten die Schulen von den Kitas lernen, das Miteinander im Schulleben tatsächlich gemeinsam zu gestalten. Wenn sich die Zusammenarbeit bis hinein in schulisches Lernen auswirkt, wird der Ausbau der ganztägigen Betreuung (unter Einbeziehung von Kita- und anderer Jugendhilfeträger) sogar zu einer Chance, die Schulzeit weiterzuentwickeln.

Zusammenfassung: Forderungen und Vorschläge

  • Für den Ausbau, den der Deutsche Kitaverband begrüßt, und den Betrieb der Ganztagesbetreuung sind erhebliche Anstrengungen aller Partner*innen notwendig. Der Bund muss sich finanziell stärker engagieren als bisher geplant.
  • Dem Fachkräftemangel (zusätzliches Personal wird benötigt) muss durch Flexibilität und Qualifizierung entgegengewirkt werden.
  • Das Wunsch und Wahlrecht der Eltern sowie die Vielfalt der Betreuungsformen müssen berücksichtigt werden.
  • Der Hort ist eine wichtige Betreuungsform mit vielen Stärken, die bereits im SGBVIII verankert ist.
  • Kitaträger sind durch ihre Erfahrung und ihr Knowhow die idealen Partner bei der Ganztagesbetreuung von Grundschüler*innen.
  • Ganztagesangebote sind keine Weiterführung schulischen Lernens am Nachmittag, sondern kombinieren Bildung, soziales Lernen und Freizeitaktivitäten.
  • Schulisches Lernen profitiert von der sozialpädagogischen Herangehensweise im Hort und umgekehrt.

[1] Datum, an dem volle vier Jahrgangsstufen den Rechtsanspruch wahrnehmen.[2] Die Bedarfsprognosen beruhen auf einer recht unzuverlässigen Datengrundlage. Während die KJH-Statistik als Individualstatistik einen guten Einblick in die Anzahl der in Kindertagesbetreuung betreuten Kinder erlaubt, ist die KMK-Statistik fehlerbehaftet. Sie beruht auf Schätzungen der Schulleitungen über die Reichweite des Angebots der Schulen und zählt in erheblichem Umfang Kinder, die in der Kindertagesbetreuung sind. Das Ergebnis sind Doppelzählungen. (Deutlich wird dies z.B. in Ländern wie Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, in denen die Anzahl der betreuten Kinder im Schul- wie im Kita-Bereich weit über 100% liegt.) Insofern sind die Prognosen über die Ausbaufolgen unzuverlässig, geben aber die Dimension wieder.[3] Hier erweist sich erneut, wie schon beim Krippenausbau, dass die Ausbildung auf den Kindergartenbereich fokussiert ist. Eine ehrliche Diskussion über die Breite der Ausbildung ist erforderlich und muss ebenfalls die Qualifikationsbedarfe der Hilfen zur Erziehung, der Jugendarbeit, etc. einbeziehen.[4] Im Zusammenhang mit der zeitlichen Ausweitung der institutionellen Betreuung von Kindern muss auch über Sinn, Zweck und Umfang der Hausaufgaben nachgedacht werden.[5] Im GaFÖG ist ebenfalls von „Förderung“ die Rede. Hier wird also auch ein Bildungsauftrag impliziert.[6] Mit dieser Kohorte hat sich Prof. Dr. Lothar Krappmann stark auseinandergesetzt. Vgl. z.B. Entwicklungen ermöglichen – Ergebnisse und Folgerungen aus aktuellen Kinder- und Jugendstudien über Kinder im Alter von sechs bis zwölf (familienhandbuch.de)[7] Lebenslange Lernprozesse, in denen Menschen Haltungen, Werte, Fähigkeiten und Wissen durch Einflüsse und Quellen der eigenen Umgebung erwerben und aus der täglichen Erfahrung (Familie, Nachbarn, Marktplatz, Bibliothek, Massenmedien, Arbeit, Spiel etc.) übernehmen.

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